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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Ödland an der Grenze dessen, was einmal die Stadt gewesen war. Wolken von Pulverdampf zogen in Schwaden um den umkämpften Bergrand. Gelbe Flächen von griechischem Feuer loderten gen Himmel und tanzten über den Gräben jenseits der klaffenden Breschen in der Mauer. Vor dem Hintergrund dieses schauerlichen Leuchtens sah Carla die verzerrten Silhouetten der kämpfenden Ritter in der Hitze zittern, während diese unter den türkischen Reihen wüteten. Zwischen den Soldaten kämpften die maltesische Frauen mit Kurzschwertern und Piken, krochen durch die Reihen und zerrten Wannen voller Hafergrütze hinter sich her, wie Amazonen, die aus einer schrecklichen alten Rachesage zu neuem Leben erwacht waren.
    Irgendwo in diesem Alptraum kämpfte auch Mattias. Dort, am Posten von Kastilien, wo die Luft von Kanonenschlägen dröhnte, von klirrendem Stahl und den Schreien der Krieger, wo sich über all dem ohrenbetäubenden Wahnsinn eines Heiligen Krieges die stolze Ruhe von Lazaros Chor erhob.
    Carla konnte nicht erkennen, zu wessen Gunsten sich die Schlacht entwickelte. Sie folgten den anderen, als Lazaro die zerlumpte Truppe die Mauertreppe hinaufführte. Sie zogen nach rechts und links auf die Brustwehren, füllten den Mauergang bis zum Posten von Frankreich und zum Posten der Auvergne und Italiens. Manche nahmen Hakenbüchsen auf, auch Pulver und Kugeln. Wer konnte, stieg die Treppe hinunter und stürzte sich ins Handgemenge. Die übrigen standen mit ihren Kriegsumhängen in den Mauernischen und ließen die erbarmungslose Sonne auf ihren Helmen blitzen.
    Carla ließ den blinden jungen Mann an seinem Platz stehen und ging die Treppe wieder hinunter. Wenn sie nun ins Hospital zurückgekehrt wäre oder Amparo gesucht hätte, hätte niemand sie aufgehalten, doch der Kampf zog sie magisch an. Sie wollteniemanden töten, aber zum ersten Mal bekam sie eine Vorstellung davon, wie der Hexenzauber des Krieges wirkte. Sie sah einen Eimer bei einem Wasserfaß stehen und lief hin.
    Die klagenden Klänge der moslemischen Trompeten zitterten durch die Dämmerung und verwehten. Violett warf der Sonnenuntergang traurige und lange Schatten auf die große Ebene. Die Überreste des türkischen Heeres stapften zurück wie humpelnde Flüchtlinge, die einem Irrenhaus entkommen waren. Sie wagten es nicht, sich umzudrehen. Unbeachtet lagen hinter ihnen zahllose Gefallene wie ein vielbeiniges Fabelwesen, das eine schreckliche Krankheit niedergestreckt hat. Auch auf den Wällen der Christen fand sich niemand, dem nach Feiern zumute gewesen wäre, nur noch menschliche Schatten, die viel zu benommen waren, um zu begreifen, daß sie noch lebten.
    Ein Kaplan läutete die Angelusglocke. Sie hallte durch die entweihte Stätte wie die Totenglocke, die am Jüngsten Tage die Sünder ruft. Die Überreste der Garnison sanken auf die Knie. Die Soldaten nahmen ihre Helme ab, legten sie auf den Boden und bekreuzigten sich. In dieser gespensterhaften Stille fielen ihre heiseren Stimmen in das Lied und den Refrain ein:
    »Angelus Domini nuntiavit Mariae.
    Et concepit de Spiritu Sancto
    Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir.
    Du bist gebenedeit unter den Weibern, und gebenedeit
    ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
    Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder,
    Jetzt und in der Stunde unseres Todes.
    Siehe, ich bin die Magd des Herrn,
    Mir geschehe nach Deinem Wort.
    Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum.
    Benedicta tu in mulieribus …«
    Tannhäuser stützte sich auf sein Schwert, um sein schmerzendes Knie zu entlasten, fiel neben Bors auf die Knie, mehr aus Erschöpfung als aus Frömmigkeit, wenn er auch glaubte, daß erdarin nicht allein war. Bors betete mit geschlossenen Augen, und Tannhäuser blieb still, während das Gebet weiterging.
    »Und das Wort ist Fleisch geworden
    Und hat unter uns gewohnt.
    Tannhäuser murmelte mit den anderen. Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum. Benedicta tu in mulieribus, et benedictus fructus ventris tui, Iesus. Santa Maria, Mater Dei, ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae.
    Bitte für uns, heilige Gottesmutter
    Auf daß wir würdig werden der Verheißungen Christi.«
    Das Gebet brachte ihm Trost, und einen Augenblick lang war er froh, zu einer Gemeinschaft zu gehören, doch dann erinnerte er sich daran, daß es keinerlei Vorteil brachte, zu einer Reihe von Toten zu gehören oder zu einer Gemeinschaft der Wahnsinnigen. Sein Aufenthalt beim Ritterorden war zu Ende. Heute

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