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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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nacht würden die Türken an ihren Wachtfeuern sitzen und fraglos Allahs Willen überdenken. Sie würden ihre verwundeten Landsleute so gut versorgen, wie sie nur konnten. Sie würden essen und die Dunkelheit meiden, wie das alle tief betrübten Männer taten. Darum würde ihm, Tannhäuser, in dieser Dunkelheit die Flucht gelingen. Der Gedanke erfüllte ihn mit matter Freude. Das Angelusgebet ging zu Ende.
    »Lasset uns beten. Allmächtiger Gott, gieße Deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, Deines Sohnes, erkannt. Laß uns durch sein Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung gelangen. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.
    Amen.«
    Bors schlug die Augen auf und schaute ihn mit verdatterter Miene an, als hätten sich die Gesetze des Universums geändert, nur damit er weiterhin leben konnte. Er war blutüberströmt, aber er hatte keine tödlichen Verletzungen erlitten. Tannhäuser nickte.
    Bors legte Tannhäuser eine seiner Pranken auf die Schulter und hievte seinen gewaltigen, mit der Rüstung beschwerten Leib auf die Füße. Dann nahm er Tannhäusers Hand und zog ihn hoch. Er schaute auf, blickte an der ganzen langen, trostlosen Verteidigungslinieentlang. Alle Überlebenden hatten diesen glasigen Blick, als sie sich wieder von den Knien erhoben, als fehlte ihnen nun, da es keinen Feind mehr gab, jeder Lebenszweck. Manche schauten sich nach ihren Offizieren um, als warteten sie auf weitere Befehle. Andere starrten stumm auf das Ödland, als erwarteten sie, daß die Nacht ihnen rauben könnte, was sie sahen. Wieder andere blieben knien und weinten vor Scham oder Erleichterung.
    »Bei Gott«, sagte Bors. » Wenn noch mehr als vierzehnhundert Mann übrig sind, dann lasse ich mich zum Islam bekehren, Beschneidung hin oder her. Der Himmel helfe uns, wenn sie morgen wiederkommen.«
    Tannhäuser schaute zu den Bergen im Süden, wo das Banner des Propheten immer noch über seinen geschlagenen Legionen wehte. Im immer dunkler werdenden Abendhimmel schimmerte eine Mondsichel, als wollte auch der Kosmos die Osmanen verspotten. Tannhäuser wandte sich ab und schüttelte den Kopf.
    »Ich glaube nicht, daß sie morgen wiederkommen«, sagte er. »Später schon, aber nicht morgen.«
    »Warum nicht? Sieh sie dir an! Sie könnten doch sicherlich die Stadt morgen noch vor dem Frühstück einnehmen.«
    »Sie verstehen Schicksalsschläge nur auf eine einzige Weise. Es ist mehr als eine Niederlage. Es ist eine Botschaft von Allah. Sie werden sich nicht gegen Ihn auflehnen.« Tannhäuser zog seine Panzerhandschuhe aus und ging auf ein Wasserfaß zu. Bors folgte ihm. »Außerdem sind wir morgen schon längst fort, und unsere größte Sorge wird dann nur noch sein, möglichst nicht seekrank zu werden.«
    Er bahnte sich einen Weg durch die Menge, die sich am Faß versammelt hatte, füllte seinen Helm mit Wasser und leerte ihn sich über den Kopf. Seine Rüstung dampfte. Schon bald würde er den verfluchten Panzer für immer ablegen. Er nahm sich vor, sich noch die Zeit für ein Bad in seiner Wanne zu nehmen. Er füllte den Helm erneut und trank einige große Schlucke. Das Wasser war warm genug, daß man damit hätte Tee aufgießen können. Er reichte den Rest Bors, der auch gierig trank.
    »Du willst immer noch mitkommen?« fragte Tannhäuser.
    Bors gab ihm den Helm zurück und wischte sich den Mund ab. »Ich hätte nie gedacht, daß ich das einmal sagen würde, aber ich habe genug. Ich bin dabei.«
    »Gut. Keine Abschiede. Wir nehmen unsere Sachen, holen unsere Frauen und sind weg. Um Mitternacht geht der Mond unter, und die Hörner des Stiers weisen uns den Weg. Zuerst aber brauche ich etwas zu essen. Ich bin völlig ausgehungert.«
    »Da drüben ist eine Wanne mit Brei«, sagte Bors.
    »Vielen Dank, aber ich esse lieber in der Herberge.«
    »Wenn Nicodemus noch lebt und all seine Finger gebrauchen kann.«
    »Wenn nicht«, warf Tannhäuser ein, »dann darfst du für uns kochen.«
    Er schaute noch einmal zu der Wanne mit dem Brei und sah Carla. Sie kniete und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie schien unverletzt zu sein. Er eilte zu ihr und kauerte sich neben sie hin.
    »Carla?«
    Sie ließ die Hände sinken und schaute zu ihm auf. Ihr Gesicht war schmutzig, aber ihre Augen schauten klar. Ihre Hände waren rauh von den Seilen. Tannhäuser deutete mit dem Kopf auf die Wanne.
    »Die Arbeit scheint in der Familie zu liegen«, sagte er.
    Carla schaute

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