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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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die letzten Lebenszeichen, die frühere Insassen dieser Höllengrube hinterlassen hatten.
    De Corro blickte Tannhäuser an.
    »Dies ist die Guva «, sagte Escobar de Corro. »Dieses Verlies ist Verrätern unter den Rittern vorbehalten. Wenn sie einmal hier in Verwahrung sind, ist die nächste Station nur noch die Hinrichtungsstätte.«
    Tannhäuser spuckte ihm ins Gesicht.
    De Corro war von dieser Beleidigung so schockiert, daß er zurückwich, das Gleichgewicht verlor und beinahe selbst in die Grube gestürzt wäre. Mit äußerster Entschlossenheit, die ihren Ursprung nur in den strengen Befehlen Ludovicos haben konnte, schafften es Marra und Pandolfo, den zitternden Kastilier daran zu hindern, Tannhäuser niederzumetzeln.
    »Wenn wir uns das nächste Mal begegnen«, knurrte De Corro, »dann gibt es einen Kampf auf Leben und Tod.«
    Marra warf eine Lederflasche mit Wasser über den Rand der Grube, und De Corro schickte sich an, Tannhäuser hinterherzustoßen. Diese Befriedigung verschaffte ihm Tannhäuser nicht. Statt dessen sprang er von allein in die Guva und hielt sich dabei am Rand fest, um seinen Fall zu bremsen. Unten angekommen, richtete er sich auf und schaute die Wand an, sah noch einmal in den lodernden Flammen den eingeritzten Galgen. Dann zogen sich die Fackeln vom Rand seines gottverlassenen Verlieses zurück, und mit ihnen schwand das Licht.
    Tannhäuser beschloß, so fröhlich wie möglich zu sein.
    Er legte sich einen Ewigkeitsstein unter die Zunge. Die beiden anderen Pillen knetete er zu Kegeln, die er sich in die Ohren stopfte, um sie sicher aufzubewahren und jederzeit zur Hand zu haben. Dann krachte die Tür zur Guva ins Schloß, und absolute Dunkelheit senkte sich auf ihn herab, begleitet von einer unwirklichen Stille.

TEIL V
    B LUTROTE R OSEN

D ONNERSTAG , 6. S EPTEMBER 1565
Im Gerichtshof – In der Oubliette
    Ludovico saß auf dem Richterstuhl des Großinquisitors in der Gerichtskammer des Gerichtshofs. Hier wurden Seelen von Sünden gereinigt und das weltliche Urteil über die Schuldigen und Unschuldigen gesprochen. Das machte die Schönheit des Gesetzes aus: seine makellose Reinheit, seine Klarheit und sein Ausschluß jeglicher Gefühle. Hier in den Hallen des Gerichtes waren alle Verwirrung und Zweifel verbannt. Solange diese Reinheit aufrechterhalten und geehrt wurde, wurden alle Verfehlungen der Justiz höchstens in der Ewigkeit gerichtet. Und doch: Welches Gesetz konnte seine eigenen Zweifel ausmerzen, seine eigene Verwirrung und Schuld?
    Der Inquisitor war allein. Licht fiel aus den Südfenstern auf die leeren Bänke und wurde von der polierten Eichentäfelung gespiegelt. Staubflocken tanzten in den gelben Strahlen. Hier am Sitz der Macht dachte Ludovico über seine eigene Machtlosigkeit nach. Sein Körper schmerzte überall von Wunden. Carlas Gesicht, Carlas Augen verfolgten ihn. Waren die Theorien des Appollonides doch wahr? Hatten diese Augen ihn verhext? Sollte er sie dem Scheiterhaufen überantworten? Sicherlich konnten ihm kein Gift und keine Krankheit ein ähnlich schreckliches Leid verursachen. Er hatte weder einen Berater noch einen Beichtvater. Er war ohne Freunde. Der einzige, dessen Weisheit ihn hätte leiten können, saß in der finstersten Grube der Christenheit gefangen. Wenn es so etwas wie eine Guva der Gedanken gab, dann war er, Ludovico, darin eingemauert.
    Die Angestellten des Gerichtshofes waren entweder evakuiert oder eingezogen worden, und nun konnte er in diesen Gemächern machen, was er wollte. Er hatte die Gefangenen getrenntvoneinander eingesperrt, jede der Frauen in eine mehr oder weniger komfortable Zelle, den seltsamen Engländer in ein Verlies im Keller. Er hatte keinen von ihnen seit ihrer Festnahme gesehen. In den wirren Gedanken, die ihm durch den Kopf gewirbelt waren, war nur ein einziger Pol der Ruhe geblieben. Darin waren zwei Wörter eingeschlossen: Geduld und Zeit. Er hatte wochenlang gewartet. Er hatte jahrelang gewartet. Nun konnte er auch noch einige wenige Tage länger aushalten.
    Die Türken hatten weiterhin ihre Taktik der Zermürbung verfolgt – mit Musketenfeuer, Bombardement, Minen und inzwischen zurückhaltender gewordenen Angriffen. Nach dem großen Rückschlag vom 2. September hatte sich erneut Verzweiflung über die Stadt gesenkt. Wieder einmal hatte sich ein weithin gerühmter Sieg doch nur als ein kleiner Aufschub herausgestellt, den man mit tragischen Verlusten bezahlt hatte. Im Oberkommando stellte man sich nur eine einzige

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