Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
trafen sie keine Menschenseele. Wäre Tannhäuser in seinem Unglück allein gewesen, so hätte ihm der Weg viele Gelegenheiten zur Flucht gegeben, denn die drei Ritter waren völlig übermüdet und daher sehr unvorsichtig. Er hätte alle drei schon auf der ersten Viertelmeile mit ihren eigenen Waffen niedermachen können. Hätte La Valette ihn unterstützt? Er glaubte es nicht. Wenn er Ordensritter umbrachte, würde ihm das kaum die Zuneigung des Großmeisters einbringen, und rein rechtlich gesehen, war das Verhalten des Inquisitors untadelig. Die Vernunft sagte Tannhäuser, daß er sich in sein Schicksal fügen und abwarten mußte.
    Sie erreichten die kürzlich gesprengte Brücke, die früher über den Graben geführt hatte und wo inzwischen der Kanal und das Ufer völlig verwaist dalagen. Ein Boot ohne Mannschaft wartete. Sie kletterten an Bord, und die Ritter brachten Tannhäuser über das stille, dunkle Wasser zum Kastell St. Angelo.
    Das Boot glitt durchs Wasser, und Tannhäuser tauchte die Hand ins Meer. Die Schnittwunden brannten im Meerwasser. Pandolfo und Marra, die die Staken führten, hätte er im Handumdrehen über Bord werfen können. De Corro hätte er danachleicht überwältigt. Er begnügte sich mit dieser Vorstellung. Das Boot legte an, und sie kletterten an Land.
    Beim Schein der Fackeln führten sie ihn durch die dunklen und verlassenen Gefilde des Kastells. Aller frühere Pomp war verschwunden. Die Festung lag nun wie ein riesiges Grabmal da. Sie gingen durch ein wahres Labyrinth von Gängen, die jeglichen Schall ihrer Schritte sofort verstummen ließen. Seltsames Geflüster, ungewiß und unheimlich, war jenseits des Lichtscheins ihrer Fackeln auszumachen. Marra und Pandolfo schauten einander voller Furcht an. Tannhäuser unterdrückte seine eigene Angst, denn sie würde ihm hier nur hinderlich sein. Sie gingen eine Treppe hinunter, dann noch eine und eine dritte, und wieder überlegte sich Tannhäuser, wie leicht er sich in dieser Finsternis davonmachen könnte. Sie gelangten zu einer breiten Tür, die mit Eisen beschlagen war. Ein Schlüssel wurde hervorgezogen und die Tür aufgeschlossen. Tannhäuser ging ohne Aufforderung als erster in die Dunkelheit.
    Die Luft war feucht und kühl und stank, wie man es in einem so tiefen Verlies nicht anders erwarten würde. Als er die Tür durchschritten hatte, befahl ihm De Corro, seine Kleider abzulegen, und er befolgte diesen Befehl ohne Widerstreben. Während er sich auszog, verbarg er geschickt noch die letzten drei Ewigkeitssteine. Dann stand Tannhäuser nackt im Schein der Flammen. Den Armreifen mit den Löwenköpfen streifte er nicht ab. Er schaute zu seinen Wärtern, die nickten und es ihm gewährten. Er bemerkte, daß seine Ruhe die beiden Italiener aus der Fassung brachte und De Corros Haß nur noch größer werden ließ. Da es ihn keine große Mühe kostete, warf er De Corro ein Lächeln zu.
    Mit Gesten bedeuteten sie ihm, er solle noch weiter in diese Höhle hineingehen, bis sich vor ihm im Boden ein schwarzes Loch auftat. Sie blieben stehen und hielten ihre Fackeln, damit er es im Flammenschein untersuchen konnte.
    Das Loch maß neun Fuß im Durchmesser und war elf Fuß tief. Es hatte die Form einer umgestülpten Glocke, die man aus dem Felsen geschnitten hatte, auf dem das Kastell St. Angelo errichtetwar. Die makellose Rundung seiner Öffnung erstaunte Tannhäuser. Selbst der größte und stärkste Mann konnte sich aus dieser Grube nicht ohne Hilfe wieder befreien. Beinahe hätte Tannhäuser applaudiert, denn dies war zweifellos das genialste Gefängnis der Welt. Nur der Ritterorden konnte sich dergleichen ausgedacht und gebaut haben.
    Dann gewahrte er im flackernden gelben Licht, daß die Perfektion des gemeißelten Steins in den unteren Bereichen zerstört war, durch eine Unmenge von gekratzten Zeichen, so primitiv wie diejenigen, die längst vergangene Völker in den Höhlen der Vorzeit hinterlassen haben. Die nackten Seitenwände waren durchfurcht – er wußte nicht, womit, mit Ringen, Fingernägeln, Knochen oder Zähnen. Die Markierungen waren wild verstreut, als hätte ein Blinder sie im Wahn hier eingeritzt: unzählige Kreuze, oft von ungeheuren Abmessungen, die Worte Jesus , Gott und Erbarmen in verschiedenen Sprachen, Striche, mit denen Tage gezählt werden sollten, die aber zu verworren waren, als daß sie ihren Zweck hätten erfüllen können, Abbilder von Grabsteinen und, fein gezeichnet, ein Galgen mit einem Gehenkten. Es waren

Weitere Kostenlose Bücher