Das Sakrament
tierische Kraft. Er zerrte bis zum Zerreißen an der Kette, die er um den Hals trug, bäumte sich auf. Obwohl diese Kette viel zu kurz war, fuhr Tasso voller Angst und Schrecken zurück. Bors lachte ihn aus, lachte sich selbst aus,lachte sein Schicksal aus und den abgehackten Kopf von Sabato Svi, der vor ihm auf dem Schemel lag.
Auch im Wahnsinn lag Trost. Man konnte sich auf ihm wie auf Adlerschwingen erheben.
Sie hatten ihm in seinem Verlies eine Kiste Kerzen und ein angestochenes Faß auf seiner Schlafstätte hingestellt. Eine Nacht und einen Tag lang hatte er das Faß nur angestarrt. Denn er war zwar kein so schlauer Fuchs wie Mattias, wußte aber doch, daß sie damit etwas bezweckten. Schließlich hatte er den Zapfhahn aufgedreht und den Branntwein entdeckt. Und angesichts einer solchen Freude sollten doch alle Einwände und klugen Reden ihm verdammt gleichgültig sein. Er hatte sich beinahe besinnungslos getrunken, während zahllose Stunden und Tage vergingen, hatte sich in langen Träumen von Ruhm und Kameradschaft verloren, hatte sich wie jeder beherzte Säufer kopfüber ins Vergessen gestürzt. Bis dann dieses Ende doch gekommen war, bis das Faß leer auf seinem Bauch lag. Und doch war es nicht leer, denn als er es an den Mund hob, um die letzte Neige zu trinken, hatte sich im Innern etwas bewegt. Er hatte das Faß abgesetzt. Ihm war speiübel geworden, und er hatte es einfach stehenlassen, aber die Neugier quälte ihn und gewann die Oberhand. Er hatte das Faß auf den steinernen Fußbodenplatten zerschmettert, und da war der abgetrennte Kopf von Sabato Svi herausgerollt. Abgehackt und im Branntwein eingelegt wie eine Zwiebel. Das hatte jegliche Vorstellung, die er je von Niederträchtigkeit gehabt hatte, völlig in den Schatten gestellt. Es hatte seine eigene Grausamkeit nichtig erscheinen lassen. Er hatte laute Flüche zu einem Gott emporgeschleudert, an den er nun nicht mehr glaubte.
Tasso nahm eine von Läusen zerfressene Decke vom Boden auf, barg den abgetrennten Kopf darin und verschwand, während Bors immer noch wie irrsinnig hinter ihm her lachte. Dann trat Ludovico ein, und Bors verging das Lachen. Der Inquisitor blieb stehen und schaute auf den Boden zu seinen Füßen, als hätte er dort zum erstenmal etwas bemerkt. Bors folgte seinem Blick. Dort befand sich eine Falltür in den Steinen, in deren Holz ein Ring und ein fingerbreiter Riegel eingelassen waren.
»Sprecht Ihr Französisch?« fragte Ludovico.
Bors antwortete nicht.
»Dies ist eine Oubliette «, erklärte Ludovico. »Ein Ort, an dem man von aller Welt vergessen ist.«
Ludovico unterbrach sich, zog den Riegel zur Seite und hob die Falltür an dem Ring an. Ein ekelerregender Gestank drang herauf. Bors verzog das Gesicht und blickte hinunter. Jenseits der klaffenden Falltür war ein Raum, so eng wie ein Sarg. Darin lag Nicodemus. Sein Gesicht war aschfahl.
Bors krampfte sich vor Wut und Trauer die Kehle zusammen. Keine Runden Backgammon mehr. Keine Vanilletörtchen mehr, die köstlichsten, die er je gegessen hatte. Bors schloß die Augen. Plötzlich schien sich alles zu drehen. Er lehnte sich an die Wand zurück. Wieder überkam ihn der Drang, sich zu übergeben. Er schluckte. Er klammerte sich an den Gedanken an Mattias. Halte deine Wut und deine Trauer fest , hatte der ihm geraten, denn solange wir leben, können wir immer noch siegen .
Ludovico ließ die Falltür wieder zuschnappen, setzte sich ohne Zögern auf den Schemel, legte die Hände auf die Oberschenkel. Es war seltsam, aber Bors fürchtete sich nicht vor ihm. Er fürchtete sich vor nichts, was ihm Ludovico noch antun könnte.
»Bors von Carlisle«, sagte Ludovico so freundlich wie nur etwas, »sagt mir doch, wo liegt Carlisle?«
Und Bors dachte: Verzeih mir, Mattias, mein Freund, aber dies ist ein Spiel, das ich nicht gewinnen kann.
Eine Alte brachte ihr Essen und Wein herein, während Anacleto an der Tür lauerte, aber keiner hatte auf ihre Fragen geantwortet. Als schließlich Ludovico zu ihr kam, mußte Carla feststellen, daß die primitive Dankbarkeit über menschliche Gesellschaft alle anderen Gefühle in den Schatten stellte. Sie wandte sich von ihm ab, um diese Regung vor ihm zu verbergen. Sie verachtete sich für diese Schwäche, und sie verachtete ihn, weil er wußte, daß sie so reagieren würde. Sie drehte sich wieder zu ihm um. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, und sie spiegelten kein Licht vom Fenster, dassich weit oben in der Wand befand, und doch
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