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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Frage: Wo war Garcia de Toledo? Die versprochenen Entsatztruppen waren nun schon zwei Monate überfällig. Wo waren die Ritter aus den weiter entfernten Ordensprovinzen, die sich den ganzen Sommer über in Sizilien angesammelt haben sollten? Würde der Vizekönig es wirklich dulden, daß Malta fiel?
    Da alle flehentlichen Bitten des Großmeisters nur wenig Wirkung gezeitigt hatten, hatte Ludovico vor einigen Wochen seinen eigenen maltesischen Boten, einen Vetter von Gullu Cakie, nach Messina geschickt. Er hatte zwei Briefe für einen vertrauenswürdigen Mitarbeiter der Inquisition im sizilianischen Hochadel im Gepäck. Ein Brief sollte nur dann geöffnet werden, falls Malta ohne Unterstützung durch Toledo fiel. Er enthielt Nachrichten und Anweisungen, die den Sturz und die Schande des Vizekönigs bewirken würden. Der zweite Brief wurde Toledo persönlich überreicht.
    Der Brief begann mit einer Schilderung der Leiden, welche die Belagerten zu erdulden hatten, einem Bericht über die Tapferkeit der christlichen Verteidiger und den heldenhaften Tod von Toledos Sohn Federico im Kampf um den ersten Belagerungsturm.Nur der direkten Einwirkung des göttlichen Willens konnte man das Überleben der Christen zuschreiben, denn diese Tatsache widersprach jeglicher menschlichen und militärischen Erfahrung. Wenn Toledo sich diesem göttlichen Willen widersetzte, läge sein ewiges Schicksal nur noch in Gottes Hand. Im diesseitigen Leben jedoch gäbe es solche wie Michele Ghislieri, die sich verpflichtet fühlen würden, ihre Toten dadurch zu ehren, daß sie diejenigen hart züchtigten, die sie so unehrenhaft im Stich gelassen hatten. Es wäre eine große Tragödie, wenn ein Soldat vom Ruhme Toledos seine Tage als der niedrigste und feigste Schurke Europas beschließen müßte.
    Es war beispiellos, einen spanischen Vizekönig so zu bedrohen, doch Ludovico kannte Toledo. Der Brief würde ihn in wilde Wut versetzen, die sich jeglicher Vorstellung entzog – und die ihn zur Handlung treiben würde.
    Obwohl Ludovico an die Vorsehung und seine eigenen diplomatischen Schachzüge glaubte, gab es kein Anzeichen dafür, daß sich ihr Schicksal wendete. Noch wagte er nicht, den letzten Schritt seiner Intrige auszuführen. Mehr denn je war die Führung durch den Großmeister wichtig für die Moral der Garnison. Das Wunder, das nötig war, damit sie den nächsten türkischen Angriff überdauerten, stand und fiel mit der Person La Valettes. Wenn die Entsatztruppen landeten, würde Ludovico seine Angelegenheit in zügigen Schritten weiterbetreiben. Wenn nicht, dann würde er mit den anderen sterben. Der Tod bereitete ihm keine große Angst. Wenn er den Tod überhaupt fürchtete, dann nur, weil er so der Vereinigung mit Carla beraubt wurde, die er so glühend herbeisehnte. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu ihr. Ihre Nähe beunruhigte ihn. Sie war in diesem Gebäude, wartete auf seinen Besuch, wie sie das alle taten, denn von seinem Erscheinen hing ihre Zukunft ab. Und doch wußte Ludovico nicht, was er zu ihr sagen sollte. Er wußte nicht, wie er sie seinem Willen unterjochen sollte. Wenn er sie aber nicht beugen konnte, wie konnte er sie sich dann aus den Gedanken reißen?
    Anacleto kam in die Gerichtskammer. Dicker Schorf bedeckteseine Augenhöhle und Wange. Seine schönen Gesichtszüge würden auf immer entstellt bleiben. Der Anblick erfüllte Ludovico mit Mitleid. Tannhäusers englischer Gefährte hatte den Schuß abgefeuert. Der Kerl hatte damit geprahlt, als sie ihn in seine Zelle geworfen hatten. Anacleto kam auf den Richterstuhl zu. Sein Gang wirkte seltsam, nicht schwankend, aber weit weniger leichtfüßig als sonst. Er verneigte sich.
    »Der Engländer brüllt Euren Namen«, sagte Anacleto. »Er hämmert an die Tür der Zelle. Der Wärter behauptet, er rennt mit dem Kopf dagegen.«
    »Er hat das Faß schon geleert?«
    Anacleto zuckte die Achseln. »Scheint so.«
    »Laßt ihn hämmern. Und was gibt es bei den Frauen?«
    »Alles ruhig.« Anacletos einziges Auge richtete sich auf ihn. Es tanzte in fahrigen Bewegungen hin und her, als sei es durch den Verlust des anderen Auges aus der Bahn geraten. Die Pupille war winzig. Opium. Daher der seltsame Gang. Doch stimmte auch etwas anderes nicht.
    »Was noch?« fragte Ludovico. »Sag mir, was dich noch beunruhigt.«
    Anacleto schüttelte den Kopf. »Nichts.«
    »Der Schmerz?«
    Anacleto antwortete nicht. Das Erdulden von Schmerzen war eine Sache der Ehre.
    »Hast du genug Opium?«

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