Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
Vom Netzwerk:
erkundigte sich Ludovico. Tannhäusers Satteltaschen waren voll von dem Zeug gewesen. Dazu Jutesäcke mit Edelsteinen. Anacleto nickte.
    »Die Entsatztruppen werden kommen.« Ludovico nahm ihn beim Arm. »Das glaube ich fest. Und das solltest auch du glauben. Bald ist der Krieg vorüber. Unsere Arbeit ist so gut wie getan. Dann gibt es weniger Schrecken, und wenn Gott uns gnädig ist, ändert sich unser Leben.«
    »Das Leben ändert sich immer«, erwiderte Anacleto. »Und Schrecken gibt es immer im Überfluß. Warum sollte ich mir etwas anderes wünschen?«
    »Du warst verloren, als ich dich gefunden habe«, sagte Ludovico. »In gewisser Weise bist du auch jetzt noch verloren. Laß dich von mir leiten.«
    Anacleto nahm Ludovicos Hand und küßte sie. »Immer«, gelobte er.
    »Gut«, meinte Ludovico. Er war aber mit den Gedanken schon woanders, bei einer Erscheinung, die so hell strahlte, daß er blind dafür gewesen war. Beim verlorenen Sohn. Seinem Sohn.
    »Ich will den Engländer doch sprechen«, sagte er. »Laß ihn in die Oubliette bringen und fesseln.«
    Bors wagte nicht, die Augen aufzuschlagen, denn sie hatten das Ding auf einen Schemel unmittelbar vor ihm gelegt, und diesen schrecklichen Anblick konnte er nicht mehr ertragen. Gott hatte ihn verlassen. Und warum auch nicht? Er war der schlechte Dieb. Auch er hätte zu Christus gesagt, er sollte doch die Heerscharen seines Vaters vom Himmel herbeirufen, um sich an der Menschenmenge zu rächen. Es waren nicht mehr als vier Mann nötig gewesen, um ihn von einer Zelle in die andere zu schleifen und ihn dort an der Wand anzuketten. Nur zwei waren bewußtlos herausgetragen worden. Also hatte ihn auch seine Stärke verlassen. War das denn auch eine große Überraschung? Er hatte sich Gallonen von Branntwein durch die Kehle gejagt. Gallonen von vergiftetem Branntwein. Schlimmer als vergiftet war er gewesen: entweiht, verunreinigt. Ein Destillat des Bösen. Er würgte, aber es befand sich nichts mehr in seinem Magen. Nun konnte nichts mehr sein Blut reinigen. Oder seine Gedanken. Nichts außer dem Tod, und den wollten sie ihm nicht zugestehen. Noch nicht. Er spürte, wie die Fangarme des Wahnsinns in seinem Schädel wuchsen. Alles war verloren. Aber was hatte das schon zu bedeuten? Ein Verlust hatte ihn früher nicht zerbrochen, auch Leiden, Armut und Schmerzen nicht. Sollte der Schmerz doch kommen! Sollten doch die heißen Eisen und die Peitsche kommen! Sollten sie ihn doch auf die Streckbank schnüren und loslegen! Er sehnte sich nach Schmerzen. Zumindest würden sie seine Gedanken mitetwas erfüllen, das er annehmen konnte, mit etwas, das er verstand und kannte, mit etwas, das erträglicher war als dieses schleichende Gift in seinen Adern, in seinen Gedärmen. Irgend etwas, das dieses Teufelskraut des Deliriums ausreißen würde. Bors hatte sich nie sonderlich für den Juden erwärmen können, aber er bewunderte ihn, stand zu ihm, war nie davor zurückgeschreckt, zu ihrer Partnerschaft zu stehen. Und wehe dem Mann, der in seiner Nähe eine Beleidigung auch nur geflüstert hätte! Trotzdem – Wahnsinn, der nur neuen Wahnsinn erzeugt hatte. Er schmeckte Blut im Mund, denn er hatte dem Wärter die Nase abgebissen. Einen solchen Biß hatte er früher schon einmal gemacht. Aber das Ding hier? Dieses – ja, was war es? Ein Phantasiegebilde, das dem Schnaps und der Schlechtigkeit seine Herzens entsprungen war? Er schlug die Augen auf. Nein, da war es immer noch. Blaß und verschrumpelt wie eine Made. Das Haar zu obszönen Klumpen und Spitzen verklebt. Die toten Augen gallertartig und matt. Und es war kein Phantasiegebilde. Er hatte das schauderhafte Gewicht mit eigener Hand gefühlt. Sie hatten es den ganzen Weg von Messina hergebracht. Man stelle sich das nur vor! Über das Meer verfrachtet, durch die türkischen Linien geschleppt und aufbewahrt, hatten sie es während der grausamsten Belagerung aller Zeiten nur für diesen Augenblick aufbewahrt. Den Augenblick, den er nun durchleben mußte und aus irgendeinem Grund verdient hatte. Bors schloß die Augen wieder.
    Ein Schlüssel rasselte im Schloß. Ein Riegel wurde weggeschoben. Er würgte wieder.
    Er hörte Ludovicos Stimme. »Nehmt es fort!«
    Tasso, der Bravo aus Sizilien, kam hereingeschlurft. Er ging halb gebeugt, hielt sich die Seite. Bors hatte ihm einen Fausthieb versetzt und dabei die Rippen krachen hören. Tasso zuckte angewidert vor dem Schemel zurück. Bors war nichts mehr übriggeblieben, nur noch seine

Weitere Kostenlose Bücher