Das Sakrament
um St. Elmo auf einen schmalen Streifen beschränkt gewesen, doch hier verlangte die Schlacht auf offenem Feld seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Man hatte ihm die Sorge um drei Reservepferde anvertraut, die er nun schon seit Tagesanbruch an ihren Zügeln hinter sich herzog. Obwohl die Pferde für den Lärm der Schlacht ausgebildet waren, schraken sie doch immer wieder zusammen, und er brauchte all seine Kraft, um sie wieder zu beruhigen. Orlandu murmelte immerund immer wieder die Shahada , weil er vermutete, daß ihnen die arabischen Laute vertraut in den Ohren klingen würden. Meistens war er damit erfolgreich, und doch war er inzwischen von Kopf bis Fuß mit blauen Flecken von den Tritten der Pferde übersät.
Andere Pferdepfleger hatten nicht soviel Glück gehabt. Zwei sah er daliegen, die nach einem Hufschlag das Bewußtsein verloren hatten, einen dritten hatte eine Musketenkugel ins Gesicht getroffen und niedergestreckt. Aus ihren nun verlassenen Herden füllte er immer wieder seine nach, denn ab und an kam ein Reiter zu ihm getaumelt und nahm ihm den Zügel eines frischen Pferdes aus der Hand. Manche ritten ohne Sattel zurück ins Gefecht, andere schleppten ihre Sättel mit. Das Leiden der in der Schlacht niedergestreckten Pferde war unsäglich und rührte Orlandu mehr als die Schreie der Männer.
Orlandu hatte sich oft überlegt, ob er nach Birgu fliehen sollte, doch der rechte Augenblick hatte sich nie geboten. Meistens konnte er gar nicht ausmachen, wo die Front und wo die Nachhut war, und außerdem wäre zu desertieren sehr gefährlich gewesen. Die Sari Bayrak kämpften wie entfesselte Dämonen, aber der Blutzoll, den die Musketen forderten, war sehr hoch. Er versuchte, Abbas’ Standarte nicht aus den Augen zu verlieren, doch sie verschwand immer wieder. Stundenlang schien es ihm, als wenn der tapfere General einen Angriff nach dem anderen ins Herz der christlichen Reihen anführte.
Nun schien das Regiment vor dem Strand der Bucht von Salina umzingelt zu sein. Ein breiter Rauchschwaden und die berittenen Soldaten begrenzten Orlandus Horizont. Er versuchte dem Aufruhr keine Beachtung zu schenken und seine Angst im Zaum zu halten – genau wie Tannhäuser es tun würde. Orlandu hatte nur noch ein Pferd in seiner Obhut, bedeckte die Augen des Tieres mit einer weggeworfenen Standarte und murmelte ihm die Shahadah ins Ohr. Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist Sein Prophet. Die Ritter gaben kein Pardon. Wenn sie durchbrachen, dann würden sie ihn wahrscheinlich genauso niedermähenwie jeden anderen Türken. Er schaute auf das weite Meer hinaus, und da kam ihm ein Gedanke. Er blieb stehen, zerrte sich die Stiefel von den Füßen und spürte das saubere, kühle Gras zwischen den Zehen. Er würde das Pferd nicht im Stich lassen, noch nicht, aber sobald jemand dieses Pferd geholt hatte oder die Schlacht sich ihrem Ende näherte, würde er zum Meer rennen und fortschwimmen. Niemand würde ihm ins Wasser folgen, und wenn es sein mußte, konnte er es dort stundenlang aushalten.
Kaum hatte er sich diese Strategie ausgedacht, da hackte sich eine Gruppe besonders wild aussehender Ritter durch die türkischen Linien und kam geradewegs auf ihn zugeritten. Angeführt wurden sie von einem Ritter in einer aufsehenerregenden schwarzen Rüstung, die in der Sonne glänzte wie flüssiger Obsidian. Obwohl sie wahrhaftig genug andere Ziele gehabt hätten, preschte der ganze Pulk auf Orlandu zu, als wäre er der einzige Türke, dessen Blut es zu vergießen lohnte. Er ließ seinen Helm und die Zügel des Schlachtrosses fallen, duckte sich hinter den Nacken des Tieres und rannte um sein Leben. Im Laufen zog er das Hemd aus und warf es fort. Er hörte das Stampfen der Hufe und das Schnauben der Pferde. Er riß die Knie hoch und rannte noch schneller weiter, als er den Sand unter den Füßen spürte, fuchtelte wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Als die Wellen immer näher kamen, ertönte hinter ihm eine tiefe Stimme.
»Orlandu!«
Der Name hallte in seinem Gehirn wider, als seine Füße das Wasser erreichten. Er blieb nicht stehen, verlangsamte nur seine Schritte, als die Wellen seine Knie erreichten.
»Orlandu!«
Er wagte, ohne anzuhalten, einen Blick über die Schulter.
Der Schwarze Ritter war bis zum Saum des Wassers geritten. Er reckte sein Schwert umgekehrt in die Höhe wie ein großes Kruzifix. Mit der freien Hand winkte er ihn zu sich. Das Gesicht, das ihn aus dem Visier anstarrte, war hager
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