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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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antwortete er.
    »Dann wirf den Kerl in das Loch, und wir gehen.«
    Bors wischte sich über den Mund und packte den jammernden Wärter wie einen Sack. Er warf ihn kopfüber in die Oubliette . Er griff nach der Falltür und wollte sie schließen.
    »Diese Alte hat Amparo bewacht«, sagte Tannhäuser. »Amparo ist tot.«
    Bors zwinkerte, und Trauer stahl sich in seine Wildheit. Er hatte Amparo als eine Freundin betrachtet, und auch er hatte als ihr Beschützer versagt. Tannhäuser schob die Alte durch das Verlies auf ihn zu. Sie bebte vor Angst, als Bors sie beim Nacken packte. Tannhäuser deutete auf die Oubliette und den Wärter, der schon darin lag.
    »Sie soll ihm Gesellschaft leisten.«

    S AMSTAG , 8. S EPTEMBER 1565 – F ESTDER G EBURT

DER S ELIGEN J UNGFRAU M ARIA
Auf der Großen Ebene – Auf den Naxxar-Anhöhen – In der St.-Pauls-Bucht
    Nach der Erlösung Maltas vor dem sicheren Untergang waren die Kirchen so überfüllt, daß man das Te Deum auf den Straßen sang, während die Kapläne auf den Plätzen und dem Marktplatz Messen feierten. Ikonen der Madonna wurden ausgestellt, und alle Glocken läuteten. Menschen umarmten einander und weinten. Die Hand des heiligen Johannes des Täufers wurde aus der Sakristei des Konvents getragen und zur Anbetung präsentiert. Der Herr hatte ihre Gebete erhört und ihren Heldenmut belohnt. Die Ritter des Heiligen Ordens hatten gesiegt, waren vor der Ewigkeit und der ganzen Welt gerechtfertigt.
    Doch inmitten all dieser Festlichkeit ritten drei Menschen, deren Herzen gegen alle Freude verschlossen waren.
    Ihre Pferde schritten vorsichtig über die Kanonenkugeln, mit denen die Pflastersteine immer noch übersät waren, als sie sich über die Barrikaden auf den Weg zum Provence-Tor machten. Tannhäuser blickte auf. Auf der Bastion sah er, wie man den letztenUnglücksvogel, den einhundertzehnten Moslem der Belagerung, am Galgen erhängte. Als wollten selbst die Steine gegen diese Abscheulichkeit protestieren, brach in diesem Augenblick ein Abschnitt der Verteidigungsmauer zusammen und fiel in einer Staubwolke in den Graben. Doch wenn es überhaupt jemand gehört hatte, so war es allen gleichgültig. Nie mehr würde der Ruf des Muezzins von den Anhöhen erschallen.
    Die Tore standen offen. Sie ritten hindurch und hinaus auf die Große Ebene. Die Türken hatte man vertrieben, doch die Fliegen schwärmten noch in Scharen herum. Geier machten sich an den Toten zu schaffen, und überall krächzten Raben.
    Tannhäuser, Bors und Gullu Cakie ritten nebeneinander, durchquerten die versengte Ebene wie die drei Reiter der Apokalypse. Niemand sprach ein einziges Wort. So weit das Auge reichte, lag das Land menschenleer vor ihnen. Die eingefallenen Stollengänge, von denen einige noch rauchten, durchzogen die Ebene. Die Gräben, die man in den Fels gehauen hatte, lagen verlassen an den Berghängen. Zu ihrer Rechten ragte die zerstörte Fassade von St. Michael auf. Als sie die Ruine von Bormla durchquerten, über die so viele Angriffe hinweggegangen waren, bahnten sie sich ihren Weg durch Berge von Waffen, Rüstungen und Knochen. Die Pferde scheuten, sobald Geier entrüstet aufstoben. Buraq war besonders schreckhaft.
    Sie stiegen die Anhöhe des Corradino hinauf und ritten auf die Marsa hinaus.
    Diese einst so fruchtbare Ebene war nun mit Tausenden von verglühten Lagerfeuern übersät. Träge hatte sich von Nordafrika her ein Scirocco erhoben und wehte Rauch und Sand herüber. In der Ferne konnte man Hunderte von Ziegelöfen sehen, als wären es von Zwergen erbaute Dörfer. Zerlumpte Sonnensegel schwankten wie Vogelscheuchen im Wind.
    Jenseits des Monte Scibberas im Norden flatterte das weißrote Banner der Ordensritter über den Überresten von St. Elmo. In der Bucht von Marsamxett bewegten sich die letzten Schiffe der türkischen Flotte aufs freie Meer in Richtung der Bucht vonSt. Paul. Sie hinterließen Dutzende von Galeeren, die sie in Brand gesteckt hatten, weil sie dafür keine Ruderer und auch keine Mannschaften mehr hatten. Der Hafen lag hinter dichten Rauchwolken verborgen.
    Sie ritten weiter und ließen diesen der Verdammnis anheimgefallenen Landstrich hinter sich. Gullu Cakie führte sie nach Norden zum Anstieg der Anhöhen von Naxxar. Dort hörten sie Schlachtgetöse: Hier tobte die letzte Schlacht, die noch sinnloser war als alle anderen zuvor.
    Auf dem Berggrat trafen sie den befehlshabenden Ritter der Entsatztruppe, Ascanio de la Corna. Ein aufgeregter Adjutant versorgte

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