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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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lebt?«
    »Er lebt«, versicherte sie heftig. »Amparo hat ihn in ihrem Zauberglas gesehen.« Sofort bedauerte Carla diesen Ausbruch, der nun endgültig ihre offensichtliche Narrheit bekräftigen mußte.
    Statt dessen war er fasziniert. »Das Mädchen ist eine Pythia?«
    Das Wort kannte sie nicht. »Eine Pythia?«
    »Eine Verbindungsperson zu der Welt des Übernatürlichen, die mit Geistern sprechen oder im voraus dunkles Wissen über Dinge erfahren kann, die noch kommen sollen.«
    »Ja, Amparo behauptet, solche Kräfte zu haben. Die Engel sprechen in Zungen zu ihr. Sie hat Visionen. Sie hat Euch gesehen – einen Mann auf einem goldenen Pferd.«
    »Ich würde nur wegen des Pferdes nicht so sicher sein«, sagte er. »Ich bin nicht bereit, mich von Prophezeiungen fesseln zu lassen. Zumindest noch nicht.«
    Carla nickte. »Ihr habt recht. Der Mann, den sie in ihrem Zauberglas sah, war auch mit Hieroglyphen bedeckt.«
    Tannhäuser fuhr zurück, als hätte man ihm einen Schlag versetzt. »Dieses bemerkenswerte Zauberglas will ich sehen.«
    »Ich bin verwirrt, Sir«, sagte Carla. »Man gab mir zu verstehen, daß Ihr kaum an Gott glaubt.«
    »In diesen umnachteten Zeiten können derlei Verleumdungen einen Mann das Leben kosten.«
    »Ich meinte nur, daß ich staune, wieviel Glauben Ihr Amparos Visionen zu schenken bereit seid.«
    »Scharlatane gibt es überall, aber Amparo ist ganz ohne Arglist. Trotzdem ist die Reinheit des Herzens keine Verteidigung, wenndie Inquisition kommt. Tatsächlich wird gerade diese Reinheit sie nur noch mehr verdammen. Ich kannte schon einmal jemanden mit derlei Einsichten, und er hat einen hohen Preis dafür bezahlen müssen.« Tannhäuser schlug kurz die Augen nieder, als würde ihn eine bittere Erinnerung bedrängen. »Aber wir sind ja alle verloren in einem Universum, das so unendlich viel größer ist, als wir es wissen. Oder auch nur ahnen können.«
    Er schaute sie an.
    »Mein Freund Peter Grubenius glaubte, daß sogar die Sonne nur der Mittelpunkt von einer Handvoll kosmischen Staubs ist, nicht mehr. Was sichtbar ist, was wir wissen, das ist verschwindend wenig, verglichen mit dem, was wir nicht sehen oder wissen. Die meisten Vorstellungen von Gott sind nur unserer Ignoranz entsprungen. Für die Existenz der Sterne und Sternbilder – und für den Einfluß, den sie auf uns haben –, für gute und schlechte Engel, für ganze Reiche und verborgene Kräfte, die weit jenseits unserer Reichweite und unserer Träume liegen, ist eine regierende Gottheit nicht nötig. Auch die bloße Tatsache, daß wir existieren, fordert nicht zwingend eine Schöpfungsgeschichte, wie paradox das auch immer scheinen mag. Wenn die Ewigkeit kein Ende kennt, hatte sie vielleicht auch keinen Anfang. Daß alles im Fluß ist, kann man deutlich sehen denn hier sind wir, werden wie Treibgut auf einer aufgewühlten See hin und her geworfen. Ebenfalls deutlich zu sehen, sind die zahllosen feinen Muster, die in diesen Fluß eingewebt sind. Selbst das blinde Chaos hat seinen Sinn und Zweck, und das Schicksal ist ein Netz, dessen Fäden wir erst dann bemerken, wenn wir uns bereits darin verstrickt haben. Muster oder kein Muster, Sinn oder nicht, die Religion bringt jedenfalls mächtige Heere von Narren hervor, die einander als Teufel beschimpfen und die innere Natur aller Dinge leugnen. Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Bote, ja. Und Gott sandte seinen eingeborenen Sohn, daß er am Kreuz starb, ja. Ich habe in Moscheen und vor Altären gebetet, weil man es mir gebot, und ich habe gehorcht. An keiner dieser Stätten aber habe ich Gottes Stimme vernommen, noch habe ich seine Gnade verspürt.Schließlich hörte ich nur das Plärren der Menge bei den Bücherverbrennungen und das Wimmern einer unauslöschlichen Furcht.«
    Carla starrte ihn an. »Ich besitze nicht die Gelehrsamkeit, um Euch zu widersprechen«, sagte sie, »doch ich weiß, daß man die Grausamkeit der Menschen nicht Gott anlasten darf.«
    »Das ist ein Trost, an den ich mich bei meiner Hinrichtung erinnern werde.«
    »Die Gnade Gottes ist ein Geschenk.«
    Sie sagte das mit so viel Überzeugungskraft, daß Tannhäuser innehielt. Er nickte respektvoll.
    »Dann habe ich nicht genug getan, um sie zu verdienen«, meinte er. »Das allgemein anerkannte Mittel ist ja wohl, sie durch ein Übermaß an Leid zu verdienen, eine Ware, der die Römische Kirche höchsten Wert beimißt.«
    »Die Gnade Gottes läßt sich nicht verdienen. Man kann sie nur

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