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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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setze. Wenn Ihr mich mit einer Lüge dazu bringen wollt, dann könntet Ihr mir diese Lüge zumindest ins Gesicht sagen.«
    Carla schaute auf ihre Hände herab und wandte sich immernoch nicht um. »Sir, Ihr habt mir schon großzügig Eure Zeit geschenkt. Ich danke Euch. Vielleicht solltet Ihr nun gehen.«
    Sie machte einen Schritt auf die Tür zu und konnte sich kaum beherrschen, nicht zu rennen. Sie hörte nicht, wie er sich bewegte, und doch stand er im Nu vor ihr und versperrte ihr den Weg. Wieder einmal verdeckte sein Haar das halbe Gesicht.
    »Ich habe gehört, wie Ihr die Gambe gespielt habt«, sagte er. »Nachdem ich so die Wahrheit in ihrer reinsten Form gehört habe, klingt mir jede Falschheit besonders schmerzlich im Ohr.«
    Sie senkte die Augen und versuchte, ihre Demütigung nicht noch dadurch zu vergrößern, daß sie in Tränen ausbrach. Sie war Tränen nicht gewohnt. Auch nicht, daß sie sich so zum Narren machte.
    Sie sagte: »Ich muß Euch verachtenswert erscheinen.«
    Er nahm sie beim Arm, ohne zu antworten. Seine Berührung beruhigte sie. Als sie es wagte, ihn anzusehen, sah sie in seinem Blick ein seltsames Mitleid, ein Bedürfnis, sie zu trösten, das wohl aus seinem ureigenen Kummer entsprungen war. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Zimmerdecke und ihre herrlichen Verzierungen.
    »Solche Räume sind dazu gebaut, daß man Lügen darin erzählt«, sagte er. »Laßt uns in den Garten zurückgehen. Inmitten der Rosen fällt das falsche Spiel schwer. Wenn das, was Ihr zu sagen habt, bitter ist, dann wird der Duft der Rosen es versüßen.«
    Carla hatte plötzlich das Gefühl, das Herz würde ihr zerspringen, wenn sie es ihm nicht ausschüttete.
    »Ich habe ein Kind.« Sie unterbrach sich und atmete tief. »Ich habe einen Sohn, den ich seit der Stunde seiner Geburt nicht gesehen habe.«
    Die Sympathie in seinen Augen vertiefte sich.
    Sie sagte: »Das ist mein Geheimnis und mein Gefängnis. Das ist die Tür, von der ich hoffte, Ihr würdet sie öffnen können.«
    »Kommt«, sagte Tannhäuser. »Erzählt mir alles.«
    Sie saßen im Schatten der Palmen. Eine Meeresbrise wehte den Duft der Myrrhe und der Blüten zu ihnen hin. Carla schaute ihmin die Augen. Er hatte recht. Lügen hatten hier nichts zu suchen, und Geheimnisse schienen sinnlos. Dennoch scheute sie im letzten Augenblick zurück.
    »Ich bin feige«, gestand sie. Das war keine Lüge, dachte sie. »Das verdient Ihr zu wissen.«
    »Ein Feigling wäre nicht so weit gekommen.«
    »Wenn ich Euch alles erzähle, werdet Ihr mich verachten.«
    »Spielt Ihr nun ein Spiel, um mein Mitleid zu erregen?«
    Carla taumelte weiter. »Ich meine nur, daß Eure Leiden, was immer sie auch gewesen sind, sicherlich viel größer sind als meine, die ich mir noch selbst zuzuschreiben habe.«
    »Um meine Leiden geht es hier aber nicht«, erwiderte Tannhäuser. »Aber um Euer Gewissen zu beruhigen, soll es genügen, wenn ich sage, daß ich mein Leben in vollen Zügen genieße und in bester Verfassung bin. Was nun Verderbtheit, Schande oder Schmach betrifft – denn ein solches Gespenst scheint zwischen Euch und der Offenbarung Eurer Gedanken zu stehen –, so seid versichert, daß ich Verbrechen begangen habe, die Ihr Euch nicht einmal vorstellen könnt. Ich sitze hier nicht über Euch zu Gericht, sondern ich soll entscheiden, ob ich Euch die Bitte gewähre, Euch nach Malta zu bringen.«
    »Dann ist es möglich? Trotz der türkischen Blockade?«
    »Die türkische Flotte ist noch nicht eingetroffen, und nicht einmal Suleiman Schah hat genug Schiffe, um eine Küste von vierzig Meilen völlig zu umschließen. Ein kleines Boot, ein guter Lotse, eine mondlose Nacht. Das Erreichen der Insel ist die geringste unserer Aufgaben.«
    Sie bemerkte, daß er bereits das gesamte Unternehmen in Gedanken geplant hatte. Zum erstenmal trat ihr die Wirklichkeit ihres Vorhabens vor Augen. Ihre Gefühle beruhigten sich schnell, denn in praktischen Angelegenheiten war sie stolz auf ihren kühlen Kopf. »Welche anderen Gefahren warten denn noch auf uns?«
    »Nur ruhig«, sagte Tannhäuser. »Ich würde gern mehr über diesen Jungen erfahren. Wie alt ist er?«
    »Zwölf Jahre alt.«
    »Und wie lautet sein Name?«
    »Ich weiß es nicht. Ich hatte nicht das Privileg, ihm seinen Namen zu geben.«
    »Könnt Ihr mir sonst noch etwas sagen? Familie? Beruf? Aussehen?«
    Carla schüttelte den Kopf.
    »Diese Welt springt mit kleinen Kindern hart um«, sagte er. »Woher wißt Ihr, daß er noch

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