Das Sakrament
zurückließ. Amparo würde überleben und einen Weg zu Tannhäuser finden. Er hatte das Mädchen bewundert. Er würde sie schützen. Sie durfte Amparos Schicksal nicht mit ihrem eigenen verstricken.
Diese Überlegungen hatten Carla bewogen, ohne jeglichen Widerstand in die Kutsche zu steigen, doch anders als beim letztenMal, als der Handlanger ihres Vaters sie von Malta fortgebracht hatte, sah sie sich nun einer viel größeren Maschinerie der Unterdrückung gegenüber. Jeden Augenblick übten überall auf der Welt Menschen Gewalt auf andere aus. Es war genauso wie in dem Gemälde von der Hölle, das sie in Neapel gesehen hatte: Hier trampelten groteske Gestalten einander in die Flammen, dachten an niemanden außer sich selbst. Hatten nicht Hunderte von Sklaven sie nach Sizilien gerudert? Und doch hatte sie keinen Gedanken an diese Menschen verschwendet, sich nur über den üblen Geruch beschwert. Carla hatte nichts von ihnen gewußt, nicht erfahren, womit sie eine solche Erniedrigung verdient hatten, hatte auch nicht danach gefragt. Genau wie dieser Priester, der sie in die Vergessenheit begleitete, nichts über sie wußte, sich keinen Deut um sie scherte und sich auch nicht nach ihr erkundigte. Letzten Endes war sie nicht besser als er. Sie war nur eine der grotesken Gestalten, verloren – verdammt – im selbstsüchtigen Tumult des menschlichen Lebens.
Trotzdem fragte Carla sich, womit sie diese Entführung provoziert hatte. Seit gestern oder vorgestern war doch nur Starkeys Brief angekommen, und Tannhäuser hatte ihr einen Besuch abgestattet. Daß sie nun in ein Kloster eingesperrt wurde, konnte keinem der beiden irgendeinen Nutzen bringen. Vielleicht hatte man ihr nachspioniert. Bertholdo? Aber für wen und warum? Der einzige mögliche Drahtzieher war ihr Vater Don Ignacio in Mdina. Carla hatte ihren Wunsch, nach Malta zurückzukehren, öffentlich genug geäußert. Er konnte sehr wohl davon gehört haben, nicht zuletzt, da sie ihn als ihren Beweggrund angegeben hatte. Sie mochte gern glauben, daß er sie immer noch so sehr verachtete, daß er ihre Rückkehr hintertrieb. Ihre Gefangenschaft unter diesen sich kasteienden Nonnen würde einem so überaus frommen Mann auch außerordentlich passend für sie erscheinen. Carla brachte es jedoch nicht übers Herz, ihn dafür zu hassen. Es war schon genug Haß auf der Welt, ohne daß sie noch ihren Beitrag leistete.Die Kutsche rumpelte durch die Nacht. Der Atem des Priesters verpestete die Luft in dem engen Innenraum. Das Gefährt quälte sich schleppend langsam einen steilen Berghang hinauf. Carla hoffte, der Kutscher würde sie bitten, das Pferd zu schonen, auszusteigen und neben der Kutsche herzulaufen. Dann könnte sie vielleicht eine Möglichkeit zur Flucht finden – in ihren lächerlichen Stiefeln und dem albernen Kleid. Sie wünschte sich, sie wäre ein Mann wie Tannhäuser, der es nie hatte ertragen müssen, eine schwache Frau zu sein. Kein Wunder, daß Frauen für ihn geheimnisvolle Wesen waren. Sie fügten sich in eine Sklaverei, die ihnen nicht einmal Ketten anlegen mußte.
Dann wurde die Kutsche noch langsamer, und Carla bemerkte, wie die Bremse dumpf gegen das Rad schlug. Wenig später hörte sie, wie eine rauhe, bedrohliche Stimme eine Forderung aussprach, die sie durch den Vorhang nicht genau vernehmen konnte. Von oben waren undeutliche Geräusche und besorgniserregendes Gepolter zu hören. Dann dröhnte ein Schuß, scheinbar nur wenige Fingerbreit von ihr entfernt. Der Priester zuckte in der Dunkelheit zusammen. Auf den Schuß folgte ein Schrei, dann fiel jemand – es konnte nur der Kutscher sein –, das Pferd scheute, die Kutsche ruckte kurz an und kam dann wieder zum Stehen, als die Bremse quietschend gegen das Rad schlug. Der Priester machte keinerlei Anstalten, die Lage zu untersuchen. Carla zog den Vorhang auf. Diesmal hinderte der Priester sie nicht daran.
Nach so viel stickiger Dunkelheit schien das Licht des Mondes und der Kutschlaternen ungeheuer hell. Die Landschaft, die sich nun zeigte – das glitzernde Band des fernen Meeres, die Laternen, die weit unten am Hafen leuchteten, die dunkelgrauen Berge, die neben der Straße anstiegen –, erfüllte Carlas Herz mit ungeheurer Freude. Sie schaute auf den Priester, der ihr gegenüber zusammengesunken dasaß. Sie konnte seine Augen nicht sehen, doch sein Körper war völlig erstarrt, und seine Lippen schienen sich in stummem Gebet zu bewegen. Überrascht stellte sie fest, daß sie keine Angst
Weitere Kostenlose Bücher