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Das Sakrament

Das Sakrament

Titel: Das Sakrament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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empfand, obwohl sie wußte, daß diese Berge nur so vor Banditen wimmelten. Tannhäuser hatte recht. Sie war dochziemlich mutig. Der Priester mochte fürchten, was draußen auf sie wartete, sie nicht. Carla öffnete die Tür der Kutsche und stieg aus.
    Ein Mondstrahl blitzte auf, als Tannhäuser sein Schwert senkte. Er war zu Fuß und hielt in der linken Hand eine Pistole, aus deren Mündung sich noch ein letztes graues Rauchwölkchen kräuselte. Seine Augen glühten wie blau flackernde Kohle, das Haar hing ihm wirr ums Gesicht, seine Lippen waren zu einem kleinen Lächeln verzogen. Wieder einmal erinnerte er sie an einen Wolf, diesmal an einen, den man an der Stätte des Tötens überrascht hatte. Das Bild war ziemlich zutreffend, denn im Geschirr hing kopfüber die Leiche des Kutschers.
    »Seid Ihr verletzt, Contessa?« fragte Tannhäuser besorgt, als hätte sie sich vielleicht den Knöchel verstaucht.
    Carla schüttelte den Kopf. Sie blickte auf den Kutscher. »Ist der Mann tot?«
    »Ja, Contessa.«
    Tannhäuser legte eine Pause ein, als erwartete er, daß sie in Ohnmacht fallen oder ihn sonstwie in Verlegenheit bringen würde. Sie blickte zum sternenübersäten Himmel hinauf.
    »Ein herrlicher Abend«, brachte sie vor.
    Tannhäuser bedachte den Himmel mit einem wissenden Blick und steckte die Pistole wieder in den Gürtel.
    »Ja, wahrhaftig«, stimmte er zu, als hätte sie eine sehr passende Bemerkung gemacht. »Orion der Jäger steht unten am Horizont, und der Skorpion ist aufgegangen. Die Sterne sind uns wohlgesonnen.« Er schaute sie an. »Die Menschen leider nicht.« Er machte eine Kopfbewegung zur Kutsche. »Ist der Priester da drin?«
    Sie nickte. »Ich kenne weder seinen Namen noch seinen Dienstherren.«
    »Er heißt Pater Ambrosio und dient der Inquisition.« Es schien ihr völlig verständlich, daß er all das wußte und sie nicht. »Ist er bewaffnet?«
    »Nur mit seinem Glauben.«
    »Dann hat wenigstens die Ewigkeit für ihn keinen Schrecken.«Tannhäuser zeigte auf die andere Seite der Kutsche. »Dort drüben wartet mein Pferd und treuer Gefährte. Buraq traut Fremden nicht sogleich, aber laßt euch von ihm beschnuppern und zeigt keine Scheu – schenkt ihm ein freundliches Wort, wenn Ihr könnt –, und dann läßt er Euch aufsteigen. Wartet am Fuß des Berges auf mich!«
    Ihr wurde klar, daß Tannhäuser vorhatte, den Priester zu töten. Er wirkte dabei so kaltblütig, überlegte sie, daß ihm das Blut gewiß schon in den Adern gefroren sein mußte. Carla schaute ihn an, und er zwang sich zu einem Lächeln, um sie zu beruhigen. Sie sah, daß er ein Mörder der finstersten Sorte war und daß bei all seiner Intelligenz und Großherzigkeit doch sein Gewissen eine Lücke hatte, die mindestens ebenso riesig war. Sie fragte sich, was wohl dieses Loch geschlagen hatte und wie lange es schon existierte. Es machte sie traurig, denn diese Ursache seiner Kaltblütigkeit mußte ihm außerordentlich großen Schmerz bereitet haben. Der Preis mußte so hoch gewesen sein, daß er schon vergessen hatte, wieviel er bezahlt hatte. Sie wollte Einwände gegen den Mord erheben, aber er nahm diesen weiteren Makel auf seiner Seele ja um ihretwillen auf sich, daher schwieg sie. Sie würde sich nie mehr verstellen. Sie würde diesem Mann nicht mit frömmelnder Scheinheiligkeit begegnen. Sie würde diese Welt, in die sie nun so blutig verstrickt war, für sich annehmen.
    »Ich möchte hier bei Euch bleiben«, sagte sie.
    »Ich geselle mich gleich zu Euch«, erwiderte Tannhäuser. »Ihr braucht keine Angst zu haben.«
    »Ich habe keine Angst. Wenn ich auch nicht weiß, warum, so ist doch diese Katastrophe meine Schuld. Ich will mich nicht vor den Folgen drücken.«
    »Vielleicht versteht Ihr nicht«, meinte er, »aber ich werde jetzt den Priester umbringen.«
    Aus dem Inneren der Kutsche ertönte ein dumpfer Schlag, und Carla wandte sich um. Ambrosio war mit gefalteten Händen auf die Knie gefallen. Sein mageres Gesicht war flehentlich auf Tannhäuser gerichtet.
    »Er winselt um sein Leben, wie die meisten«, sagte Tannhäuser.»Aber wenn ich ihn verschone, wird er uns weiteren Schaden zufügen.«
    Sie blickte Tannhäuser in die Augen. »Zögert nicht um meinetwillen.«
    Tannhäuser, den ihre Gelassenheit gleichzeitig erschreckte und erleichterte, fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. »Ihr seid sicher?«
    Carla nickte. Er trat an ihr vorüber zur Kutsche und musterte den Priester.
    »Diese Geschöpfe sind wie Ratten.

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