Das Sakrament
Arzneikästchen auf den Tisch und klappte es auf. Er legte Sabato den Arm um die Schulter und spürte die unterdrückten Schluchzer bis in die eigene Brust. Er wartete, bis sie abgeklungen waren. Dann sagte er: »Zeig mir deine Hände.«
Sabato wischte sich das Gesicht am Ärmel ab. Dann atmete er tief ein und wieder aus. Er vermied es, Tannhäuser in die Augen zu schauen. Sein Bart war mit Blut besudelt. Tannhäuser zog einen Lappen aus dem Kästchen und begann, ihm das Gesicht abzuwischen. Sabato nahm ihm das Tuch ab und machte selbst weiter.
»Du mußt mich nicht für einen schwachen Mann halten«, sagte er.
»Ich habe gehört, wie du ihnen ins Gesicht gespuckt hast. Kein Mann hätte mutiger handeln können.«
Immer noch hielt Sabato das Gesicht abgewandt. Tannhäuser schaute zu Bors.
»Ich habe mir schon wegen viel weniger in die Hosen geschissen«, erklärte der Engländer.
Sabato blickte zu Tannhäuser. Seine Augen wirkten gehetzt. »Ich habe noch nie zuvor alles verloren.«
»Die Taverne?« fragte Tannhäuser. »Da haben sie uns doch eigentlich nur die Fesseln gesprengt, die wir an den Füßen trugen.«
Sabato antwortete: »Das habe ich nicht gemeint.«
Tannhäuser nickte. »Ich weiß. Und doch, wenn du alles verlierst, hast du auch eine Möglichkeit, alles, was dir lieb und teuer ist, wiederzugewinnen.«
Sabato merkte, daß Tannhäuser aus tiefster Seele sprach. Er nickte.
»Jetzt laß mich deine Hände sehen.«
Tannhäuser nahm ein Fläschchen aus dem Kasten. Er hatte, der Not gehorchend, einiges über medizinische Versorgung auf dem Schlachtfeld gelernt und von Petrus Grubenius einige Wundheilmittel mitbekommen. Außer der Art, wie man sie ihm zugefügt hatte, waren Sabatos Wunden nicht außergewöhnlich. Sie hatten sich bereits zusammengezogen, waren nun nur noch kleine, ausgefranste Löcher, die kaum bluteten. Tannhäuser säuberte sie mit Zaubernußextrakt und verschloß sie mit Hispanus-Öl. Er entschied, keinen Verband anzulegen.
»Laß Sonne und Luft die Wunden heilen«, meinte er. »Halte sie stets trocken, denn Feuchtigkeit könnte dazu führen, daß sie schwären. Wenn du sie verbergen mußt, so habe ich in meinem Schrank ein Paar Handschuhe aus Ziegenleder. Die Wunden werden dir in den nächsten Tagen mehr Schmerzen bereiten, aber du mußt trotzdem immer weiter die Finger bewegen, damit sie dir nicht absterben.«
Sabato ließ die Finger spielen. Er war totenbleich, und sein natürlicher Überschwang schien gedämpft. wenn auch längst nicht ausgelöscht. Da es in dieser Stunde auf Mut ankam, setzte sich Tannhäuser auf seinen Sessel und nickte Bors zu, der Branntwein in die kristallenen Gläser schenkte. Tannhäuser reichte eines davon Sabato.
»Derlei Dinge rauben einem den Atem«, sagte er. »Und doch wird in dieser Art von Feuer unser Charakter nur weiter gestählt.«
Sabato schaute ihm in die Augen und hob sein Glas. »Usque ad finem.«
Bors und Tannhäuser taten es ihm nach. »Bis zum bitteren Ende.«
Sie stürzten den Branntwein hinunter, und Bors füllte erneut die Gläser.
Sabato Svi sagte: »Alles verbrennen.«
Die anderen schauten ihn an.
Sabato erläuterte: »Laßt uns das ›Orakel‹ bis auf die Grundfesten niederbrennen.«
Tannhäuser blickte zu Bors und bemerkte, daß auch er vor seinem inneren Auge ein flammendes Inferno sah, in dem alles unterging, was sie geschaffen hatten, und daß er es voller ehrfürchtigem Staunen betrachtete.
»Großartig«, meinte Bors.
»Sabato Svi«, sagte Tannhäuser, »du hast dich schließlich doch noch als Dichter entpuppt.« Er hob sein Glas. »Auf das Feuer und zur Hölle damit.«
»Auf das Feuer.«
Sie tranken. Eine Flamme des Mutes schien sich in Tannhäuser auszubreiten. Er wandte sich wieder dem Essen zu und machte sich über das gebratene Geflügel her. Sabato, der ungern nur seine Dichterseele als einzige Rechtfertigung für die Brandstiftung gelten lassen wollte, fügte noch Vernunftgründe hinzu: »Das meiste Münzgeld und unser Kredit ist ohnehin in Venedig. Wenn wir dorthin gehen, sind wir weit außerhalb der Reichweite der spanischen Krone.«
»Das ist wahr«, stimmte ihm Tannhäuser zu.
»Und ein Feuer im Hafen hält die Stadt mindestens bis Mittag in Atem. Bis dahin sind wir längst fort.«
»Und da wir noch ein Dutzend Zentner Schießpulver im Lager haben, geht auch der halbe Kai mit in die Luft«, meinte Bors. Er hatte dem Hauptmann drei schöne Ringe abgenommen und wollte sie über seinen kleinen Finger
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