Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
Vom Netzwerk:
Clan-Chefs. Nur zwei Feuer brannten noch auf der Innenseite des Dachs unter dem Rosettenfenster. An einem saßen die Clan-Chefs mit Mathilda, und am anderen, direkt am Wandrand, schmiedeten König Corvays Berater ihre Pläne.
    Sie hatten Wachen eingeteilt. Trotzdem gelang es Dietleib, ungesehen bis zu den Clan-Chefs vorzudringen. Das letzte Stück kroch er auf dem Bauch den Hang hinauf, bis er die steinige, felsenartige Wölbung unter dem Abendzeichen erreichte.
    Mathilda entdeckte ihn zuerst. Im gleichen Augenblick ging eine Wache an ihrem Lagerfeuer vorbei. Der Bankert war gerade erst eingeteilt worden, sonst hätte er vielleicht gesehen, daß einige Männer fehlten. Dietleib sah seiner älteren Schwester an, daß sie die Wache am liebsten mit giftigen Worten vertrieben hätte, aber sie beherrschte sich, senkte den Kopf und murmelte den Clan-Chefs zu, daß sie beten sollten.
    Geschickt benutzte sie die alte Sprache aus dem frühen vierzehnten Jahrhundert, die nur noch wenige Bankerts verstehen konnten. Die Wache gehörte nicht dazu. Sie schneuzte sich und schlenderte weiter. Erst als sie sicher war, daß der Bursche nicht zurückkam, unterbrach Mathilda das gemeinsame Gebet, in das sie eine Warnung an die Familienältesten eingebunden hatte.
    Sie winkte Dietleib. Er huschte zwischen die Clan-Chefs, setzte sich ans Feuer und senkte ebenfalls den Kopf wie zum Gebet.
    »Wo sind die anderen?« fragte Mathilda leise. Die trockenen Äste vom Waldrand knisterten und knackten in den Flammen.
    »Wir wurden schon unterhalb der Straße überfallen. Jemand hat uns mit Steinen beworfen. Ulf ist am Kopf verletzt. Ich habe ihm einen Kräuterverband angelegt und hierher getragen. Er liegt unten am Sündanger zwischen der Westfassade und dem Eichberg ...«
    »Und Hanns?«
    »Er muß noch im Dorf sein!«
    »Ach, dieser ungeschickte Kerl!«
    »Nein, nein«, wehrte Dietleib ab. »Er wußte, daß ich mich um Ulf kümmere. Wahrscheinlich versucht er jetzt, allein Kräuter zu beschaffen. Ich selbst konnte nur wenig mitbringen.«
    Er nestelte den Topf mit Kräuterbrei von seinem Gürtel und reichte ihn Mathilda.
    »Was ist da drin?«
    Dietleib sagte es ihr.
    »Gut, dann frage ich jetzt Lea, ob sie einen Sud für diejenigen brauen kann, die nach den Wochen des Hungers die Bratenstücke heute abend nicht vertragen haben ...«
    Sie nahm den Topf und stand auf. Ohne die anderen zu beachten, verschwand sie in der Dunkelheit.
    »Eine anstrengende Frau«, seufzte Otto, der Friedfertige. »War sie schon so, als Wolfram noch lebte?«
    Dietleib lachte.
    »Noch schlimmer! Wenn unser Vater nicht im Haus war, hat sie sich manchmal wie die Chefin des ganzen Dorfes aufgeführt. Sie weiß eben, was sie will!«
    »Hast du gesehen, wie es um das Dorf steht?« fragte Meister Friedrich. Dietleib starrte in die knisternden Flammen des kleinen Feuers. Der schweigsame, sehnig wirkende Clan-Chef hatte mit seiner Familie das östlichste Haus des Dorfes unterhalb der Straße bewohnt. So gesehen, waren sie immer Nachbarn gewesen, denn Meister Wolfram hatte das Haus und der Garten oberhalb der Straße gehört.
    Dietleib erinnerte sich daran, wie Meister Friedrich ihm vor Jahren Seile für eine Schaukel auf dem Seilfeld geflochten hatte. Hauchdünne Flachsfäden wurden über eine lange, gerade Strecke mit hölzernen Schienen gespannt und mit einer langsam hangabwärts gleitenden Spindel zusammengedrillt. Anschließend holten die Seiler die Spindel wieder hoch, klinkten stärkere Haken ein und wiederholten den Vorgang so lange, bis sich aus vielen dünnen Fasern kräftige Stricke zusammengedreht hatten.
    Dietleib konnte Meister Friedrich einfach nicht sagen, daß alles zerstört war: die Schuppen mit dem Flachs, die abgewetzten Holzschienen und auch das Haus, in dem der Seiler-Clan gelebt hatte.
    »Warum schweigst du, Dietleib?« fragte Eilhart der Jäger. Seine Familie bewohnte das Gehöft zwischen den Anwesen von Friedrich und Herbort dem Schlachter im südöstlichen Quadranten des Dorfes.
    Obwohl die Schander stets eine eingeschworene Gemeinschaft gewesen waren, gab es winzige Unterschiede zwischen ihnen. Dabei wurden verschiedene Maßstäbe angelegt, die sich aus der Lage der Gehöfte ergaben: die Clans im Westen bekamen eher Sonnenlicht durch die Beryllos-Linsen als die Clans östlich des Baches; nördlich der Straße durch das Dorf wuchsen die Kräuter besser, während auf der südlichen Seite die Wiesen fetter waren.
    Schon deshalb war das Dorf in vier Bereiche

Weitere Kostenlose Bücher