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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Topfhüten sahen sie wie ein Kreis von Pilzgnomen aus. Schließlich nickte Bieterolf bedächtig.
    »Ich werde gehen«, sagte er leise.
    »Und ich begleite dich«, meinte Otto der Friedfertige.
    »Als Jäger muß ich wissen, wo das Wild steht«, knurrte Eilhart. »Ich werde mich vom Eichberg aus durch den Wald schleichen ...«
    »Merkt euch alles, was sie sagen!«
    »Gib mir einen Schluck Kräutersud«, sagte Otto. »Ich fühle zu viel Angst in meinem Magen ...«
    Die anderen Clan-Chefs murmelten zustimmend. Zum erstenmal hatte einer von ihnen ausgesprochen, was sie seit vielen Monaten empfanden.
    Gleichzeitig löste sich die lähmende Starre aus ihren Seelen. So wie fast alle anderen Schander hatten sie die vergangenen Wochen wie in einem gottgewollten psychischen Winterschlaf ertragen.
    Zeiten der Flucht waren schon immer schwer und böse gewesen. Doch diesmal war es besonders schlimm gekommen.
    Nach langer, langer Zeit begannen die Augen der Clan-Chefs wieder zu leuchten. Sie waren nicht länger abhängig von Ereignissen, die sie nicht beeinflussen konnten. Siebenhundert Jahre hatten sich die Schander vor Gefahren gefürchtet, die von draußen kamen. Sie hatten eine Mentalität entwickelt, die ihnen befahl, alles, was von außen kam, als gottgegeben hinzunehmen.
    Sie wollten dienen - doch das hieß warten und nicht handeln!
    Wie menschliche Schnecken waren sie bei jeder auch nur angedeuteten Bedrohung ihres Friedens zusammengezuckt und in ihre Verstecke zurückgewichen. Auch diesmal hatten sie sich einfach tot gestellt. Fast ohne Widerstand waren sie den Eindringlingen gefolgt, unfähig, ihre Welt vor der drohenden Eroberung durch die Bankerts zu bewahren.
    Mathilda, die Tochter eines Logenmeisters, der sein Leben beinahe freiwillig aufgegeben hatte, eine Frau von dreißig Jahren, die ihren eigenen Sohn bei der Flucht nach unten sterben sah, hatte die Führung übernommen. Eine Frau, die nicht das geringste Recht besaß, im Kreis der Clan-Chefs zu sprechen.
    »Was sitzt ihr noch herum?« fuhr sie die Meister an, die sich bereit erklärt hatten, die Pläne der Bankerts auszuhorchen.
    Bieterolf, Eilhart und Otto standen ächzend auf. Zum erstenmal in der Geschichte der Schander folgten die Clan-Chefs den Anordnungen einer Frau.
    *
    Weiter östlich schleppte Corvays Narr Lello seine Halbschwester durch die Nacht der vielen hundert Monde. Er humpelte in die Täler zwischen den Feldern und keuchte bei jedem neuen Hügel stärker. Trotzdem genoß er die nahe Wärme von Agnes. Sie wurde ihm nicht schwer.
    Natürlich hätte er sie auch zwingen können, mit ihm nach Westen zu gehen, doch das war nicht sein Stil. Deshalb hatte er ihr eher beiläufig erzählt, daß sein Vater Ekkehart und seine Mutter Lea hießen. Er hatte ihr damit bestätigt, was sie schon lange halb wußte und halb ahnte ...
    Dummerweise hatte er nicht mit der Empfindlichkeit von Agnes gerechnet. Als sie verstand, daß sie mit einem Bankert verwandt sein konnte, war sie ohnmächtig am Rand der Straße zusammengesunken.
    Lello hatte sie aufgehoben und auf den Rücken genommen. Er war vier Jahre älter als sie, aber das hatte jetzt nichts mehr zu bedeuten. Keuchend trug er Agnes zum Rübenberg. Als er den Schein der Feuer hinter den Bäumen des Eichbergs sah, blieb er stehen.
    Seit er denken konnte, fürchtete er sich vor dunklen Wäldern. Vielleicht war das noch eine tief eingegrabene Erinnerung an die dunklen Zeiten unter dem nördlichen Dach der Kathedrale ...
    Als er ungefähr in der Mitte des kleinen Wäldchens war, zögerte er plötzlich. Seine Schritte wurden langsamer. Er sah das Licht eines Lagerfeuers und hörte durch die Bäume, wie Patrick Murphy seine filzbespannten Schlagstöcke über die Paukenkessel grummeln ließ.
    Lello trug Agnes noch ein Stück weiter, dann setzte er sie ab. Er legte sie ins weiche Gras einer Mulde, an deren Rändern duftende Waldbeeren wuchsen. Nur wenige Schritte weiter tuschelten Corvays Berater.
    Seine Leute!
    Er hörte, wie Hector lachte und Menennery Luck Vorträge über die Gesetzgebung eines neuen Staates hielt. Wahrscheinlich hörte ihm außer Patricks Muli niemand zu.
    Waren das wirklich seine Leute?
    Lello empfand auf einmal einen tiefen Widerwillen gegen die laute, herzlose Bande Corvays. Mit welchem Recht maßten sie sich eigentlich an, das Sakriversum zu erobern?
    Vorsichtig kroch er in die Mulde neben Agnes. Er kuschelte sich an sie und suchte ihre Wärme. Wenn sie aufwachte und wünschte, daß sie

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