Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.
Verwaltungsbeamten und Wirtschaftsführern gestanden hatte. Er wußte auch, daß es ohne diese Kontakte den Verlag schon längst nicht mehr gegeben hätte ...
Der Magnetschlüssel öffnete eine holzverkleidete Panzerplatte in einem Bücherregal. Goetz zog das Bildschirm-Telefon über zwei Gleitschienen nach vorn. Er ließ sich auf einen Stuhl mit gedrechselten Füßen fallen und beugte sich über das Keyboard.
Zunächst gab er seine Kennung ein. Der Bildschirm wurde augenblicklich hell. Goetz wählte wahllos irgendeinen Teilnehmer des nichtöffentlichen Fernsprechnetzes an.
Das grafische Symbol des Papstes mit Mitra und den beiden Schlüsseln blendete auf, danach das Symbol der Kathedrale. Es war aus einer der vierzehn Mutter-Figuren mittelalterlicher Steinmetze entwickelt worden.
»Vier der Triangulatur«, murmelte Goetz unwillkürlich, »vier der Quadratur, vier dem Vierpaß und zwei dem Dreipaß ...«
Das Dreipaßzeichen der Kathedrale erinnerte an geometrische Grundlinien aus dem Rosettenfenster. Es war ein Siegel, ein Stempel und ein Kode zugleich, aus dem die Eingeweihten mehr erkennen konnten als normale Sterbliche.
Goetz starrte auf das dreischenklige Sonnenrad mit Drittelkreisen an den Enden. Ähnliche Zeichen hatten in der Vergangenheit Menschen betäubt, blind gemacht und bis zur Selbstzerstörung hypnotisiert ...
Es war Magie in ihnen, eine ungeheure Kraft, die ihre Wurzeln in den Geheimnissen des Universums haben mußte.
Dann kam das dritte Zeichen. Es bestand aus drei kunstvoll ineinander verschlungenen Großbuchstaben in Schreibschrift: VOB.
Goetz biß die Zähne zusammen. Sie hatten alle etwas miteinander zu tun gehabt!
Er tastete seine Personen-Kennung ein. Jetzt wollte er wissen, ob das System des gegenseitigen Interessenschutzes pervers genug war, ihm zu gehorchen! Er war der letzte Mensch: der erste, oberste und einzige! Oberbürgermeister, Generaldirektor, Aufsichtsratsvorsitzender, Bischof ...
NEGATIV
Goetz starrte auf den scharlachroten Schriftbalken quer über dem Bildschirm. Er fühlte, wie seine Handflächen feucht wurden. Die Angst vor der Macht der Systeme kroch eisig über seinen Rücken. Er dachte an seine Flucht aus dem Kommunikations-Zentrum der Kathedrale. Auch dort war er zunächst akzeptiert und dann ausgesperrt worden.
Aber warum?
Er ballte die Hände zu Fäusten. Ein anderer an seiner Stelle hätte zugeschlagen, einfach zugeschlagen, um das verdammte System zu zerstören ...
Doch eben das durfte er nicht tun, wenn er weiter in der Stadt leben wollte! Er brauchte die Versorgungseinrichtungen und die Informationsquellen. Aber wie sollte er an die lebensnotwendigen Daten kommen, wenn ihm immer nur ein höhnisches NEGATIV entgegenleuchtete?
»Warum bekomme ich keine Informationen?« tippte er auf die Tasten unter dem Bildschirm.
Es schnurrte, summte und flackerte eine Weile. Dann erlosch der rote Schriftbalken auf dem Bildschirm.
»Sie bekommen Informationen«, sagte eine Automatenstimme. Die gleiche Aussage flimmerte in großen Buchstaben über den Bildschirm.
»Ich bin also berechtigt, Anfragen und Anweisungen abzugeben!«
»Ja.«
»Bis zu welchem Geheimhaltungsgrad?«
»Ohne Einschränkung.«
»Na schön«, knurrte Goetz. »Und warum drehen die Systeme durch, sobald ich irgend etwas wissen will?«
»Sie haben die Gesamt-Prokura für die Stadt«, sagte die Stimme. »Zusammen mit einem anderen Befugten sind Sie jederzeit berechtigt alle Daten abzufordern ...«
Goetz hatte plötzlich das Gefühl, daß ihm das Blut vom Herzen abgeschnürt wurde. Er konnte alles erfahren, was er wissen wollte. Mit einer winzigen, tödlichen Einschränkung: er brauchte einen zweiten Überlebenden dafür ...
»So sind die Vorschriften«, sagte die seelenlose Stimme. »Als VOBSTER B-STU 1 genießen Sie eben nur eingeschränkte Handlungsfreiheit. Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen ...«
*
Unter dem Dach der Kathedrale schliefen die meisten Schander und Bankerts in tiefer Erschöpfung. Zum erstenmal nach vielen Tagen der Entbehrung hatten sie sich wieder sattessen können. Jetzt forderten die so lange gequälten Körper ihr Recht. Sie lagen in kleinen Gruppen zusammen. Nur einige Frauen kümmerten sich noch um Kinder, denen die Nahrungsmittel nicht bekommen waren. Sie trösteten die leise Weinenden, obwohl sie selbst zwischendurch immer wieder einschliefen.
Als Dietleib mit Ulf zurückkam, legte er seinen Bruder in eine Mauernische und schlich sich leise bis zu den
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