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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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plötzlich hellwach.
    »Einverstanden!« sagte er sofort. Sie drehte sich um und ging auf die Tür zu, hinter der er die Duellpistolen gefunden hatte. Ohne zu zögern ging sie an den aufgehängten Soutanen vorbei. Sie stieg die Stufen hinab, bis sie an die Tür kam, vor der die verwesende Leiche des Küsters lag.
    »Komm!« sagte die MUSE , als sie sah, daß er zögerte. Sie öffnete die schwere, eisenbeschlagene Tür. Goetz konnte nicht sehen, wie sie es machte. Unwillkürlich dachte er an eine Falle. Obwohl es ihm schwer fiel, zerrte er den Leichnam des toten Küsters ein Stück vor, damit die massive Tür nicht mehr zuschlagen konnte.
    Die MUSE lehnte sich gegen die Mauer des hellen, zwölfeckigen Raums. Noch immer saßen die zwölf Männer in kostbaren Gewändern wie zum letzten Abendmahl versammelt um den blankgescheuerten Holztisch.
    Goetz wunderte sich, warum die Lampen in der Deckenverkleidung des bunkerartigen Raumes noch brannten.
    »Weißt du, was das hier ist?« fragte die MUSE .
    »Nein.«
    »Du warst doch schon mal hier ...«
    Goetz nickte. »Damals hatte ich Durst und Hunger. Ich habe kaum auf die Toten geachtet.«
    »Was meinst du, wie lange sie schon so hier sitzen?«
    Zum erstenmal sah sich Goetz die Gesichter der Männer genauer an. Er hatte plötzlich den Eindruck, daß sie anders aussahen als Menschen aus seiner eigenen Zeit. Gleichzeitig fiel ihm auf, daß die Haut der Toten dunkel, straff und lederartig wirkte.
    »Sie müssen ... sie müssen schon sehr lange tot sein«, sagte er. Die MUSE nickte zustimmend.
    »Sie sind schon sehr lange tot! Vierhundert Jahre, fünfhundert und einige fast siebenhundert!«
    Goetz sah die Mumien prüfend an.
    »Sie haben also nicht zur gleichen Zeit gelebt?«
    »Nein! Sieh dir doch ihre Kleidungsstücke und die Gesichter genauer an. Einige tragen noch den Bischofsring an der Hand, die segnet. Mit dem violetten Amethyst als Symbol für Demut, Lauterkeit, Treue zur Kirche und das Geheimnis Gottes. Auf jedem Amethyst sind drei Punkte in einem Dreieck eingraviert ...«
    Goetz fühlte plötzlich einen Stich im Herzen.
    Er starrte auf die Engelsgestalt, dann wieder auf die Toten. Erst jetzt sah er, daß sie zufrieden lächelten. Es wirkte, als hätten sie bei ihrem Tod ein tiefes, stilles Glücksgfühl empfunden.
    »Wer ... wer waren diese Männer?« fragte er schließlich.
    »Sie waren Eingeweihte, die das Geheimnis der arabischen Alchimisten und der gotischen Kathedralen kannten!«
    »Welches Geheimnis?«
    Die MUSE sah ihn fast wie ein richtiger Engel an. Goetz vergaß für einen Augenblick, daß die lichte Frauengestalt vor ihm nur eine kunstvolle Projektion war.
    »Was hat diese Männer zu ihren Lebzeiten miteinander verbunden? War es denn etwas anderes als das Evangelium?«
    »Ja und nein!« sagte die MUSE lächelnd. »Auch du trägst das Zeichen der eingeweihten Wächter, Goetz von Coburg. Du mußt es nur erkennen!«
    Die meterdicken Bleiwände kamen ihm plötzlich wie Mauern eines Gefängnisses vor.
    Im gleichen Augenblick verlor die Projektion ihre Intensität. Das Engelsbild der MUSE löste sich auf. Zurück blieb der vertraute graue Kasten.
    Goetz ging auf den Roboter zu. Ehe er ihn erreichte, erfüllte ein hoher, vielstimmiger Ton den Raum. Goetz blieb wie angewurzelt stehen. Sein Blick fiel auf die Mumien. Und plötzlich hatte er das Gefühl, als würden ihre Gesichter vor seinen Augen langsam zerfallen ...
    *
    Oben im Sakriversum hockte Agnes seit Stunden in einem der höchsten Bäume des Eichbergs. Die alte, knorrige Eiche hatte sich im Lauf der Jahrhunderte in ein wundersames Gebilde aus verdrehten Ästen und ineinander verschlungenen Zweigen verwandelt.
    Der Baum stand oberhalb des Weges, der als gewundenes Band das Sakriversum teilte. Der Weg begann als Saumpfad unterhalb des Abendzeichens. Er führte durch die steinige Mulde des Sündangers, durchquerte als Hohlweg den Wald und setzte sich in gleichmäßig ansteigenden und wieder abfallenden Wellenlinien über den Hügel bis zum Dorf fort.
    Von den westlichen Gehöften bis zum östlichen Ende des Dorfes verlief der Weg als breite Straße durch das Sakriversum - mit Gräben an beiden Seiten, über die kleine, steinerne Brücken zu den Vorgärten führten. Jenseits der Häuser wurde die Straße wieder zum Feldweg, der sich irgendwo hinter dem Sammelgrund vor den Aasbergen verlor ...
    Agnes hatte gesehen, wie die Bankerts das Lager unterhalb des Rosettenfensters verließen. Sie waren nacheinander in

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