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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Gruppen aufgebrochen - vorweg König Corvay und sein Hofstaat, danach die anderen. Ganz zum Schluß waren alle zehn Clan-Chefs durch den Staub geschlurft ...
    Zur zwölften Stunde bemerkte sie, daß die Beryllos-Linsen im Dach des Sakriversums keine Harmonie mehr zeigten.
    Das Licht der Außensonne spreizte sich in viele kleine Flecken. An manchen Stellen fielen mehrere Strahlenbündel übereinander, an anderen waren Schatten, wo keine sein durften.
    Sie klammerte sich an harten Eichen-Ästen fest. Wie ein Tier vor einem Erdbeben oder einer Sonnenfinsternis fühlte sie innerlich das heraufziehende Unheil. Die Bankerts und die Clan-Chefs waren längst hinter den Hügeln verschwunden. Am Waldrand arbeiteten mit Äxten, Sägen und Flaschenzügen Angehörige ihres eigenen Volkes an der Zerstörung des Waldes.
    Sie schlugen eine Schneise, die eine Grenze zwischen ihnen und den anderen werden sollte. Ab und an drangen kurze Befehle bis zu ihrem Versteck in der alten Eiche. Sie hörte Lärm von Teufelskram und roch den Pesthauch von Maschinen, der schlimmer stank als jeder Sud aus den Destillations-Apparaten von Meister Wolfram ...
    Agnes sehnte sich nach Guntram. Sie verstand nicht, warum er sie so lange allein ließ. Natürlich war alles anders und schwieriger geworden, seit die Bankerts die Herrschaft im Sakriversum übernommen hatten. Aber war das schon eine ausreichende Entschuldigung für einen Mann, seine Frau zu vergessen?
    *
    Die wilde Bande stürzte sich laut johlend in den See. Die meisten nahmen sich nicht einmal die Zeit, ihre verdreckten, speckigen Kleidungsstücke abzulegen. Wozu auch?
    »Wasser!« grölten sie und: »Pista, per diavolo!«
    König Corvay und seine Berater hielten sich zurück. Sie wählten eine lauschige Stelle am Ostrand des Sees zwischen den unteren Feldern, der Schafsheide und dem Irrlichtmoor. Hier hatten früher, hinter Haselnußsträuchern verborgen, die Clan-Chefs gebadet.
    Während die Bankerts den Schmutz der vergangenen Wochen von ihren Körpern spülten, hatten sich Ed Jankowski und Severino in den Häusern umgesehen. Sie brachten Töpfe mit Schmierseife und zusammengeraffte Kleidungsstücke zum Seeufer, ehe sie sich selbst auszogen und als letzte ins Wasser liefen.
    Die Clan-Chefs hockten schweigend am Ufer. Sie wirkten wie müde alte Häuptlinge, die nicht verstehen konnten, was in ihrem Teil des Sakriversums geschah.
    »Sie benehmen sich, als würde alles ihnen gehören«, sagte Meister Lamprecht müde.
    »So ist es«, nickte Bieterolf bitter.
    »Ich hätte Lust, sie zu jagen wie Tiere der Weltlichen «, knurrte Eilhart der Jäger. »Wenn sie nicht Menschen wären wie wir, hätte ich schon längst das Jagdsignal für meine Familie geblasen.«
    »Jetzt zerstören sie auch noch die Fischreusen!« empörte sich Meister Konrad.
    Friedrich blickte abwesend zum Ostrand des Dorfes hinauf. Selbst vom See aus konnte er erkennen, daß von seinem Hof nichts mehr stand. Er war der einzige Clan-Chef, der nicht bedauerte, daß er seine Familie hinter dem Eichberg zurückgelassen hatte ...
    Nach und nach kamen die Bankerts zum Ufer des Sees zurück. Einige schwärmten aus und liefen den flachen Wiesengrund hinauf zur Dorflinde. Andere versuchten, ihre Kleidung zu waschen.
    »Sie haben überhaupt kein Schamgefühl«, stellte Meister Herbort fest. Er zupfte an seinen spitzen Ohren, während er die lachenden und grölenden Bankerts beobachtete. Männer, Frauen und Kinder vergnügten sich splitternackt am Ufer des Sees. Sie feierten die Eroberung ihres neuen Lebensraums wie die Heimkehr in ein Gelobtes Land. Und niemand fragte nach denen, die hilflos mit ansehen mußten, wie ihre Kultur unterging ...
    »Seht nur, wie sie mit Sachen umgehen, die man noch verwerten könnte«, sagte Meister Lamprecht kopfschüttelnd. »Sie werfen ihre alten Hemden, Hosen und Röcke einfach in den See! Dafür hätte meine Familie einen eigenen Lagerschuppen im Sammelgrund gebaut.«
    »Die Zeiten haben sich geändert«, seufzte Herbort der Schlachter, Doktor und Abdecker. »Sie werden niemals wieder so sein wie früher!«
    Nach und nach sammelten sich die Bankerts zwischen dem Teich und dem See auf beiden Seiten des Baches. Ein paar junge Burschen hatten Würste, ein Fäßchen Wein und knochenhartes Brot organisiert.
    »He, ihr Meister!« rief einer von ihnen. »Sitzt nicht wie alte Eulen rum! Holt Mehl, backt Brot und fangt uns Krammetsvögel ein!«
    Im gleichen Augenblick teilten sich die Haselnußbüsche am Seeufer.

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