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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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die keine Gnade kannten.
    Das Pendel schlug zurück.
    Zum erstenmal waren die Verachteten auf Menschen getroffen, die noch viel kleiner, greifbarer und schwächer waren als sie selbst. Aber was vor zwei, drei Monaten als eine Art Familientreffen begonnen hatte, war mittlerweile ein brutaler Kampf ums Überleben geworden!
    Weder die Schander noch die Bankerts konnten nach draußen ausweichen. Die meisten Bankerts wußten ganz genau, was geschehen war. Auch jetzt noch war einigen nicht wohl bei dem Gedanken, daß sie sich bereits beim Aufstieg an den Außenmauern der Kathedrale verseucht haben konnten. Sie wollten nicht mehr nach draußen - jedenfalls nicht in den nächsten Jahren.
    Das Dumme war nur, daß sie mit den Schandern zu viele waren und ohne sie nicht überleben konnten ...
    Galus strich sich über seinen kahlen Schädel. »Das kann ja heiter werden!« murmelte er.
    Menennery Luck drängte sich neben ihn. »Wozu haben wir denn die neuen Gesetze?« fragte er. »Die Weigerung von diesem Burschen ist ein klarer Verstoß gegen das dritte.«
    »Sollen wir etwa schon am ersten Tag im Dorf einen Scheiterhaufen aufschichten?« knurrte Galus unwillig.
    »Soweit muß man ja nicht gehen«, meinte Menennery Luck. »Aber wenn wir jetzt nicht durchgreifen, sind die Gesetze nicht einmal das Papier wert, auf das ich sie geschrieben habe!«
    Menennery Luck rieb sich die spitze Nase.
    König Corvay verlor langsam die Geduld. Er spürte, daß er etwas unternehmen mußte. Mit einem Fingerschnippen rief er seine Berater zu sich.
    »Wie war das, Menennery? Was steht auf Widerstand gegen unsere Anordnungen?«
    »Die Strafe bei einer Mißachtung des dritten Gesetzes ist noch nicht festgelegt«, wand sich Menennery Luck verlegen.
    »Du bist ein Dummkopf!« sagte Corvay wütend. »Was soll ich mit Gesetzen, die ich nicht anwenden kann! Also los, was geschieht jetzt mit diesem Clan-Chef?«
    »Er hat kein Haus mehr«, meinte Galus nachdenklich.
    »Warum schicken wir ihn nicht einfach zurück?« fragte Hector.
    Patrick kam auf seinem Muli näher. Gleichzeitig veränderte sich das Licht über ihren Köpfen. Die Clan-Chefs der Schander standen dicht beisammen zwischen der Linde und dem turmartigen Gemäuer oberhalb der Straße, die das Dorf in zwei Hälften teilte.
    »Sie haben irgend etwas vor«, sagte Patrick. »Lacht mich nicht aus, aber mein Muli ist mir einfach zu unruhig ...«
    »Was hat denn dieser Esel mit den Schandern zu tun?« höhnte Ed Jankowski. Severino tippte mit dem Finger an seine Stirn.
    »Ein Muli ist kein Esel!« sagte Patrick. »Und dieses ganz bestimmt nicht! Habt ihr noch nie gehört, daß manche Tiere präkognitiv reagieren, wenn Gefahren drohen? Die Gänse auf dem Hügel des Kapitols in Rom waren ebenso berühmt als Warner wie die chinesischen Erdbebenschlangen und die ...«
    »Schon gut, schon gut!« winkte Corvay ab. »Was ist nun los mit deinem Muli und den Rundhüten?«
    »Vielleicht naht draußen ein Gewitter. Es kann auch sein, daß eine Sonnenfinsternis bevorsteht. In Wales hielt die Natur ebenso den Atem an, wenn etwas Ähnliches heraufzog ...«
    Corvay und seine Berater blickten nach oben. Es war, als würden Hunderte von kleinen Sonnen aus ihren vorgeschriebenen Bahnen gleiten. Scheinwerfern gleich bewegten sich die Strahlen durcheinander.
    »Verdammt noch mal, was geht hier vor?« fluchte Corvay mühsam beherrscht.
    Patricks Muli schnaubte. Ed Jankowski und Severino verzogen gleichzeitig die Gesichter. Menennery Luck leckte an einem Bleistift und kritzelte neue Paragraphen zwischen die Gesetzeszeilen.
    Hector richtete sich hoch auf. Er hakte seine Daumen in die noch feuchten Lederriemen, die kreuz und quer über seine Brust liefen. Er sah am Bach entlang zum See hinunter. Die Lichter vom Dach der Kathedrale eilten wie helle kleine Lebewesen über die spiegelnde Wasserfläche. Ganz unten, am Rand des südlichen Querschiffs, tauchten plötzlich hellblaue Flammen über dem dunklen Irrlichtmoor auf.
    Erst jetzt erkannten auch die anderen, daß sich Tiere aus dem Dorf in der Dunkelheit der Gewölbebögen über dem Querschiff verborgen hatten.
    »Das sind doch Ziegen!« stellte Hector fest.
    »Und auf der Westseite steht eine Herde Schafe«, sagte Galus.
    »Brennt es dort unten?« fragte Ed Jankowski verwirrt.
    »Unsinn, das sind nur Elmsfeuer«, sagte Patrick.
    Sie hörten plötzlich ein fernes, eigenartiges Knistern. Dazwischen knarrte es wie von trockenen Seilen und hölzernen Rollen. Stück für Stück

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