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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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entfernt hatte. Mit einem Hammer und einer schweren, verstellbaren Zange machte er sich auf den Weg zum Portal.
    Noch einmal zuckte ein heller Lichtschein durch den Vorraum. Gleichzeitig entdeckte er, daß die Portaltür zugeschlagen war. Er ließ das Werkzeug auf den Boden fallen. Mit beiden Händen riß er an den Riegeln. Sie gaben nicht einen Millimeter nach ...
    Gefangen!
    Goetz schüttelte ungläubig den Kopf. Er rannte ins Mittelschiff zurück. Ungeduldig wartete er auf einen weiteren Blitz. Es war etwas heller geworden.
    Die Fenster begannen ziemlich weit oben. Goetz sah sich um. Bis auf ein paar Stuhlreihen gab es nichts, was er zum Hochklettern benutzen konnte.
    Er ging zurück und nahm das Werkzeug zur Hand. Eine Weile versuchte er vergeblich, die Turmtüren zu öffnen.
    »Dann eben nicht!« knurrte er.
    Im Mittelschiff schien wieder die Sonne. Er musterte die Pfeiler, Kapitelle und Maßwerke vom Boden über die Höhe des Triforiums bis zum Gewölbescheitel. Von innen konnte man nicht sehen, wie der ungeheure Druck der Gewölbe auf die Seitenmauern aufgefangen wurde. Goetz wußte, daß nicht alle Mauern massiv waren, sondern Hohlräume und innere Verstärkungen aus Mörtel, Holz und Eisen besaßen. Auf diese Weise hatten die Erbauer von Kathedralen das kostspielige und zeitraubende Behauen von Mittelblöcken zwischen den Innen- und den Außenwänden eingespart.
    An einigen Stellen unter den Fenstern entdeckte er Vorsprünge, die wie eingemauerte Kettenglieder aussahen. Er steckte den Hammer und die Zange in seinen Gürtel. Stück für Stück kletterte er an einem halbrunden Pfeilerbündel höher. Seine Finger suchten kleine Vorsprünge, Erker, Simse und Verzierungen. Es ging leichter, als er gedacht hatte.
    Als er an der Unterkante eines der hohen, prächtigen Fenster ankam, ruhte er sich eine Weile aus. Direkt vor ihm leuchteten bunte Scheiben in fingerdicken Bleifassungen. Es fiel ihm schwer, den Hammer gegen die Scheiben zu erheben.
    Er preßte die Zähne zusammen und schlug zu.
    Mit einem dumpfen, hallenden Geräusch prallte der Hammer ab. Das viele Meter hohe Fenster zitterte, doch die Scheibe, gegen die er mit aller Kraft geschlagen hatte, wies nicht einmal einen Sprung auf. Goetz versuchte es zum zweitenmal. Der Hammer knallte gegen das bunte Fensterstück und fiel ihm fast aus der Hand. Er klammerte sich mit dem linken Arm um das Pfeilerbündel. Verständnislos starrte er auf die unversehrte Scheibe. Gleichzeitig entdeckte er in einer Ecke sein Familienwappen.
    »Das kann doch gar nicht wahr sein!« keuchte er. Er lehnte sich so weit wie möglich vor, legte den Hammer auf einen Vorsprung und tastete mit den Fingern über das Glas. Im gleichen Augenblick erkannte er, daß sich eine durchsichtige Schicht zwischen der Scheibe und seinen Fingerkuppen befand.
    Kunststoff!
    Die Fenster waren versiegelt ...
    Der Hammer polterte nach unten. Fast hätte Goetz das Gleichgewicht verloren. Er zog die schwere Zange aus dem Gürtel. Wie besessen schlug er immer wieder gegen das glockenartig dröhnende, schwingende Fenster.
    Es hatte keinen Sinn!
    Er kletterte, rutschte und fiel wieder nach unten. Eine morsche Holzplatte dämpfte seinen Fall. Er wälzte sich zur Seite und lehnte sich mit dem Rücken gegen ein seltsam helles Mauerstück. Es war genau die Stelle, an der er mit dem Gabelstapler den Beichtstuhl von der Wand gerissen hatte.
    »Das ist die Strafe, Goetz von Coburg!« lachte er verzweifelt. »Jetzt bist du eingesperrt in der Kathedrale, die deine Vorfahren vor siebenhundert Jahren zur Ehre Gottes bauten ...«

19. KAPITEL
    Guntram erwachte von Geräuschen, die wie Glockenschläge klangen. Verwirrt richtete er sich auf. Er brauchte eine Weile, bis er verstand, wo er sich befand.
    Nancy schlief mit halbgeöffnetem Mund vor dem Lager von Meister Albrecht.
    Guntram stand auf, reckte sich und ging an der Lade mit dem Heiligen Buch vorbei. Noch ehe er das Lager von Meister Albrecht erreichte, sah er, daß der Eremit tot war. Sein eingefallenes, weiß glänzendes Gesicht strahlte noch im Tod Weisheit und Frieden aus.
    Zum erstenmal in seinem Leben schloß Guntram einem Toten die Augen. Er faltete die Hände von Meister Albrecht über seiner Brust, glättete die Decke und sprach leise ein Gebet.
    Als er »Amen - ja, es soll geschehen!« sagte, hörte er wieder das glockenähnliche Geräusch. Es kam aus den Rohren über Meister Albrechts Totenlager.
    Guntram empfand keine Angst. Er hatte viel von dem vergessen,

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