Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
Vom Netzwerk:
es hier nicht gab! Jedes Metall, jede Säure und jedes Gas ...«
    »Woraus?«
    »Aus anderen Stoffen, die wir sammelten und fanden.«
    Goetz konnte nur noch staunen.
    »Ich habe euch gesehen«, sagte er schließlich. Seine Stimme klang ruhig und gefaßt, obwohl er innerlich zitterte. »Warum sagst du mir nicht, wer ihr seid? Was hat euch so klein gemacht? Und warum lebt ihr hier - unter dem Dach einer Kathedrale?«
    »Willst du das wirklich wissen?«
    Goetz konnte nicht mehr. Er schloß die Augen, ballte die Hände zu Fäusten und lehnte sich zurück. Hinter ihm glitten bunte Fensterglassplitter nach unten.
    »Vor siebenhundert Jahren gab es einen Papst, der plötzlich vor einer der schwersten Entscheidungen in der Geschichte des Lebens und der Menschheit stand«, berichtete Guntram. »Er mußte abwägen, ob der Glaube oder das Wissen künftig Vorrang haben sollte ...«
    »Und?« fragte Goetz den kleinen, kaum zwanzig Zentimeter großen Burschen auf dem Gewölbebogen.
    »Er machte einen Fehler, der schließlich zur Ausrottung der Menschheit führte ...«
    »Na, na, na!« protestierte Goetz.
    »Es war wirklich so«, sagte Guntram ernsthaft. »Als nach den Kreuzzügen und durch die Araber in Spanien immer mehr von den uralten und geheimen Mysterien des Orients in Europa bekannt wurden, begann eine Zeit, in der die Wirklichkeit Lüge hieß!«
    Goetz dachte unwillkürlich an die Projektionen der MUSE .
    »Die Menschen, die bisher die Natur geachtet und gefürchtet hatten, und die sich selbst als Teil der Schöpfung sahen, fingen plötzlich an, nur noch an ein anderes Leben nach dem Tode zu denken. Es war wie eine Droge. Kinder bezichtigten ihre Eltern der Ketzerei. Familien, die seit Jahrhunderten gute und schlechte Zeiten mit ihren Nachbarn überstanden hatten, wurden zu erbitterten Feinden. Jeder konnte jeden bei der Inquisition anzeigen.
    Im Namen Gottes und des wahren Glaubens wurden selbst Hühner, Schweine und Ziegen wegen Hexerei und Dämonie gefoltert und verurteilt. Und wer versuchte, gegen den kollektiven Fanatismus anzugehen, starb noch schlimmer ...«
    Guntram stand wie ein Prediger auf dem Gewölbebogen. Es hätte nur noch gefehlt, daß er den Zorn Gottes mit Flammenblitzen aus den Händen schleuderte.
    »Aber es hat auch Warner gegeben«, sagte er. »Einer von ihnen war Franz von Assisi. Er hat Fratello Sole und Sorella Luna , die Sonne und den Mond, den Wind und das Feuer als Brüder und Schwestern des Menschen besungen. Sie wollten ihn nicht hören. Dafür begannen sie mit dem Bau von gotischen Kathedralen, die auch nur Symbole waren für die neue Jenseitsgläubigkeit ...«
    »Moment mal! Was hat das alles mit diesem Papst und dir zu tun?«
    »Ich wollte dir doch nur erklären, wie alles anfing«, sagte Guntram.
    »Na schön, sprich weiter!«
    »Es ist natürlich nicht ganz einfach«, meinte Guntram entschuldigend und hob die Hände. »Aber man muß die Hintergründe kennen, wenn man etwas verstehen will.«
    »Einverstanden!« nickte Goetz.
    »Als überall die neuen, gotischen Kathedralen gebaut wurden, dachte Papst Bonifatius VIII., daß er es geschafft hätte.«
    »Was?«
    »Na ja, den Sieg des Glaubens.«
    »Du meinst, den Sieg der Kirche.«
    »Ja.«
    »Und was passierte dann?«
    »Bonifatius erließ die Bulle Unam sanctam, mit der er alle Macht der Kirche und der Welt auf sich vereinen wollte.«
    »Das habe ich schon mal gehört«, sagte Goetz.
    »Der Papst verlor das Spiel gegen den König von Frankreich. Philipp der Schöne war stärker. Genau genommen war er die erste erfolgreiche Gegenkraft zum Machtanspruch der Kirche. Danach hörte das Gotische auf - aber nicht die Inquisition!«
    »Hm«, entgegnete Goetz. »Aber da fehlt doch etwas!«
    Guntram strich erneut seine langen, weichen Haare zurück.
    »Könntest du dich vielleicht etwas hinlegen?« bat er. »Ich weiß, du tust mir nichts, aber du bist schrecklich groß ...«
    Goetz legte sich auf die Seite. Er stützte den Kopf auf eine Hand.
    »Gut so?«
    »Es geht.«
    Guntram rutschte ein paar Schritte tiefer.
    »Was ich dir jetzt sage, darfst du um Gottes willen nicht weitererzählen«, sagte er leise. »Der Papst - du weißt schon, wen ich meine - war nämlich auch ein Eingeweihter ...«
    »Jetzt wird es mir zu kompliziert!« stöhnte Goetz.
    »Nein, nein! Es ist doch alles ganz einfach! Paß auf: Papst Bonifatius kannte die arabischen Lehren von der ›doppelten Wahrheit‹. Deswegen sollte er ja verurteilt werden!«
    »Und was hat es mit dieser

Weitere Kostenlose Bücher