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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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griff nach einem eisernen Maueranker.
    »Du nutzt mich nicht mehr aus!« keuchte er.
    Ed Jankowski wich zurück. Er stolperte bis zu den Fensterbänken. Sein Freund, sein Partner, sein Geselle wirbelte den Maueranker über dem Kopf. Die spitzen Eisenhaken fuhren in Ed Jankowskis Blusenkittel.
    »Was machst du?« schrie er.
    Severino grinste. Er hatte mehr verstanden als alle anderen. Das Sakriversum war ein Modell! Ein unglaubliches und geniales Denkspiel über siebenhundert Jahre! Doch jetzt war alles aus.
    Ed Jankowski stürzte rückwärts durch eine Fensteröffnung. Das Seil, an dem er hing, ribbelte sich auf wie bei einem Webstuhl, bei dem die Kettfäden rissen.
    Severino spürte den ersten, den zweiten und den dritten Ruck. Als er begriff, daß er nur noch wenige Augenblicke zu leben hatte, versuchte er, sich von Ed Jankowski abzunabeln. Er stemmte sich gegen die Mauersteine an der Ostwand der Kathedrale. Mit beiden Händen drückte er gegen die rostigen Metallschekel. Er bekam sie einfach nicht auf.
    Die tödliche Seilbewegung begann außerhalb der Kathedrale. Severino fühlte mit seinem ganzen Körper, wie Ed Jankowski unterhalb des Fensters erst nach links und dann nach rechts pendelte.
    Severino wollte loslassen, aber er hatte sich schon so im Gewirr des Seils verwickelt, daß er nicht mehr freikam. Der flache Buckel einer plötzlich auftretenden Zwischenspannung kam direkt auf ihn zu. Er wollte zurückweichen, aber da schlugen, peitschten und würgten ihn bereits die Seile.
    Er wurde hochgerissen und verschwand durch ein Fensterloch über dem Ostchor der Kathedrale. Die Sonne schien von einem klaren, freundlich-blauen Himmel auf die Stadt. Doch niemand hörte, wie er und Ed Jankowski unten aufschlugen ...

21. KAPITEL
    Goetz hatte nicht geschlafen, als der kleine Bursche auf ihn zukam. Er war schon eine halbe Stunde vorher aufgewacht. In den ersten Minuten hatte er nicht gewußt, wo er war, doch dann hatte er einen Arm ausgestreckt und verschiedene, puppenhaft kleine Gegenstände vor seinem Gesicht aufgeschichtet.
    Sie erinnerten ihn an die Spielsachen, die ihm seine Mutter geschenkt hatte - damals im Herrenhaus ...
    Er hatte Töpfchen, Becherchen und Tellerchen sortiert, einfach, weil er sich weigerte, einen absurden, wahnsinnigen Gedanken anzunehmen.
    Das Ganze mußte ein Traum sein, eine Halluzination, irgendein Fiebergebilde!
    Er hatte sich daran festgehalten, bis seine tastenden Finger einen unschlagbaren Beweis für die Wahrheit fanden:
    Schokoladenpapier!
    Ein winziges Fetzchen buntbedruckten, goldgeprägten Einschlagpapiers mit der Hälfte einer Versorgungsnummer! Er wußte ganz genau, daß er diese Sorte mit Vollmilch und mit Nüssen aus dem Vorratskeller unten in der Kathedrale in den Turm gebracht hatte. Und zwar genau dorthin, wo er später die kleinen Menschen gesehen hatte!
    Der menschliche Verstand geht manchmal wundersame Wege. Er arbeitet mit den Schablonen, die schon dadurch geprägt werden, daß Mädchen stets mit Puppen spielen und kleine Jungen auf Bäume klettern dürfen. Aber es gibt Einsichten, die nach der Zufallswahrscheinlichkeit verrückt und normabweichend sind. Verrückt! Vielleicht nur ein paar Neuronenimpulse früher oder später im gewaltigen Informationsspeicher des Unterbewußtseins ...
    Er glaubte , was er nicht sah. War das der Schlüssel für den Zugang zu den ganz großen Mysterien?
    Zum erstenmal nach vielen, vielen dumpfen Tagen und Nächten fühlte er sich ausgeglichen. Er dachte nicht mehr an sich selbst oder an den nächsten Morgen.
    »Denn tausend Jahre sind wie ein Tag!«
    Der kleine Mensch vor ihm sprach. Seine Stimme klang leise, er konnte ihn aber deutlich hören. Im gleichen Augenblick merkte er, daß sie keine Schallwellen brauchten, um sich zu verstehen.
    »Bist du wirklich ein Logenmeister?« hörte Goetz, obwohl der Kleine etwas ganz anderes fragte.
    »Was meinst du damit? Mein Urahn hieß Roland von Coburg ...«
    »Warum bist du gekommen? Geh bitte nicht weiter! Du könntest sonst Dinge zerstören , die du noch gar nicht einmal kennst ...«
    »Was könnte ich zerstören? Meinst du ein kleines Dorf mit Bauernhäusern ?«
    »Das Sakriversum«, sagte der kleine Mensch. »Ich heiße übrigens Guntram. Und du?«
    »Goetz.«
    »Hm, hältst du mich für klein?«
    »Nun ja ... ist das vielleicht doch alles nur ein Alptraum? Oder steckt in den Märchen und Legenden von der geheimnisvollen Macht der Zwerge eine Art Urerinnerung?«
    »Ich weiß, wir sollten andere

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