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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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schüttelten fast einmütig den Kopf. Das war keine Lösung - konnte keine sein!
    »Und Corvay?« fragte Eilhart verstimmt.
    »Ich werde mit ihm reden«, schlug Lamprecht vor.
    »Nein, das ist meine Aufgabe«, sagte Meister Bieterolf. »Ich habe lange Zeit geschwiegen, weil ich erst eure Meinungen hören wollte. Als letzter Logenmeister habe ich jedoch drei Pflichten: ich muß das Buch-Heim schützen, den Langen Weg verteidigen und jeden Fremden von der Teufelsmauer fernhalten.«
    »Ist das so vorgeschrieben?« fragte Lamprecht.
    »Ja«, sagte der letzte Logenmeister. »Es sei denn, daß mich andere ebenfalls Eingeweihte überstimmen ...«
    Die Clan-Chefs sahen sich unter ihren breiten Hutkrempen an.
    »Was nun?« fragte Otto.
    »Geht in die Häuser, die euch König Corvay zugeteilt hat! Wir werden einen Ausweg finden! Was wir jetzt brauchen, ist Ruhe und Besinnung ...«
    »Und frischen Sauerteig!« brummte der Clan-Chef der Bäcker-Familie.
    *
    Die beiden Mädchen trafen sich am Bach. Obwohl sie fast die gleichen knöchellangen Leinenkleider trugen, wirkten sie grundverschieden.
    Agnes hatte ihr widerspenstiges, weizenblondes Haar sorgfältig gekämmt und zu einem Knoten im Nacken geflochten. Eigentlich hätte sie als verheiratete Frau eine Haube tragen müssen. Nancy hingegen wirkte viel lässiger, freier und ganz anders als das Mädchen aus dem Sakriversum.
    Sie waren von verschiedenen Seiten gekommen - Nancy von Osten und Agnes von der Westseite des Dorfes.
    Nur wenige Schritte voneinander entfernt schöpften sie Wasser aus dem leise plätschernden Bach. Erst als sie sich wieder aufrichteten, erkannten sie, was zwischen ihnen stand.
    »Bist du nicht Guntrams Schwester?« fragte sie.
    »Ich bin seine Frau!«
    Nancy strich sich mit der Hand über ihr langes, blauschwarzes Haar.
    »Heiratet ihr wirklich immer nur untereinander?«
    »Natürlich! Wir sind doch keine Bankerts !«
    Nancy zuckte unwillkürlich zusammen, obwohl sie sich eigentlich gar nicht getroffen fühlen konnte. Sie war sauber auf die Welt gekommen. So sauber und steril wie sonst kein anderer im Sakriversum ...
    Sie stellte ihren aus Holzdauben zusammengefügten Wassereimer ab. Gleichzeitig sah sie die Verachtung in den Augen von Guntrams Schwester. Agnes wollte sie verletzen! Sie war blaß vor Erregung. Ihre Lippen bebten, als sie sagte: »Guntram gehört nur mir, verstehst du! Er ist mein Mann!«
    Nancy kaute auf ihrer Unterlippe. Woher wußte Agnes, daß sie und Guntram ...
    Dann fiel es ihr ein. Als sie vor seinen seltsamen Blicken aus dem Buch-Heim geflohen war, hatten Galus und Patrick sie abgefangen und verhört. Obwohl sie kaum etwas von dem verraten hatte, was sie seit ihrem Alleingang durch die geheimen Gänge und Treppen in den Mauern der Kathedrale erlebt hatte, war Guntrams Name gefallen.
    Vermutlich war das Gerücht, daß sie mehr als eine Nacht mit Guntram zusammengewesen war, bis zu den Familien der Schander gelangt ...
    »Du täuschst dich, Agnes«, sagte sie leise. »Ich habe nie versucht, dir deinen Mann und Bruder wegzunehmen!«
    »Aber du weißt, wo er ist!«
    »Ja.«
    »Und warum weißt du es, und ich nicht?«
    Nancy seufzte.
    »Das ist eine lange, komplizierte Geschichte. Meister Albrecht hatte uns zu sich gerufen, als er merkte, daß er sterben mußte. Guntram und ich waren die einzigen, die er in der Nähe des Dorfes erreichen konnte.«
    Agnes preßte die Lippen zusammen.
    »Du kannst mir glauben«, beteuerte Nancy. »Guntram hat nichts getan, für das er sich vor dir schämen müßte. Aber ich weiß inzwischen alles über euch. Meister Albrecht hat Guntram ein Geheimnis anvertraut, das ich nicht ganz verstanden habe. Aber er wußte, was gemeint war ...«
    »Wo ist er jetzt?« fragte Agnes. Sie war noch immer mißtrauisch und zutiefst verletzt.
    Nancy streckte den Arm aus und zeigte zur Teufelsmauer hinauf. Der große Wall oberhalb der Gärten schimmerte in einem rätselhaften Halbdunkel. Agnes wußte, daß es eigentlich Tag sein sollte, aber nur aus vier oder fünf Beryllos-Linsen ganz weit oben fiel Sonnenlicht in dünnen Strahlen auf die Mauer.
    »Vermutlich sucht dein Bruder den Inneren Altar ...«
    Agnes dachte nach. Sie lauschte dem leisen Plätschern des Baches. Ab und zu sprangen schnalzend Fische in der Dunkelheit.
    Aus uralten Berichten wußte Agnes, wie sich die Natur bei einer echten Sonnenfinsternis veränderte. Alles klang nur noch halblaut. Die Vögel sangen nicht mehr und selbst die Bäume, Büsche und das Gras

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