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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Lanze senkten und davonritten. Von Gutsherren, die während ihrer Hochzeit Braut und Kirche verließen. Von Heerführern, die kurz vor dem Sieg zum Rückzug blasen ließen. Und von Politikern, die in entscheidenden Debatten plötzlich den Faden verloren ...
    Seine Hand glitt über das Tresorfach. Wieder stutzte er. War der Schlüssel vielleicht ein auslösender Faktor für eine Sperre in seinem Hirn gewesen?
    Ein Schlüssel zu einem Tresorfach! Was wurde sonst noch durch Schlüssel verborgen?
    Er wußte, daß es nur ein Symbol war. Alle Erscheinungsformen der Wirklichkeit bildeten Symbole, denn nichts, was durch die Sinnesorgane oder durch Schrift und Sprache vermittelt wurde, konnte objektiv und unter jeder Betrachtungsweise absolut richtig sein. Oft genügte bereits eine kleine zeitliche oder räumliche Verschiebung, um aus dem Richtigen das Falsche, aus Helden Mörder und aus Großem Kleines zu machen.
    Die anerkannte Wirklichkeit mit ihren sogenannten Gesetzen und ihrer scheinbaren Logik war stets nur ein Versuch gewesen, Zufälle des Seins und der Entwicklung nachträglich zu erklären und für den eigenen Bedarf festzuschreiben.
    Dabei war niemand in der Lage, bei seinem Tun auch nur den Bruchteil aller Folgen für sich und andere zu bedenken! Und nichts geschah, das keine Folgen hatte ...
    Goetz drehte den Sicherheitsschlüssel um. Die quadratische, zentimeterdicke Tresortür öffnete sich leicht in ihren graphitgeschmierten Scharnieren.
    Verwundert blickte er auf ein kleines, dreidimensional wirkendes Holografie-Foto. Es lehnte an einem Kunstlederkasten, in dem sich eine Tonbild-Kamera befand.
    Goetz spürte, wie das Blut in seinen Kopf schoß. Wie, zum Teufel, kam einer seiner Angestellten an ein Foto von Luise Henriette?
    Seine Finger berührten die Tonmarkierung auf der Rückseite des Fotos:
    ... ich kann diesen Träumer nicht lieben! Er weiß so wenig von der Welt, wie jener Tor ; dessen Namen ich jetzt trage. Sieh zu , daß Goetz von Coburg ebenfalls durch die VOBs aus dem Verkehr gezogen wird ...
    Goetz spürte, wie sich bittere Galle in seinen Magen ergoß. Es war unfaßbar - vollkommen absurd!
    Wie konnte Luise Henriette, eine Gräfin Finck von Finckenstein, so mit einem seiner Angestellten sprechen? Und was bedeutete der Hinweis auf ihren ersten Mann?
    »Diese Hure!« murmelte er fassungslos. »Diese gottverdammte Hure!«
    So hatte er noch nie geflucht. Beinahe automatisch berührte er noch einmal die Tonmarkierung. Diesmal fing Luises Stimme früher an:
    ... vorsichtig, mein kleiner Zwergenkönig! Nimm dich vor Shakram in acht. Er muß etwas über uns herausgefunden haben. Seit gestern versucht er ; mich zu erpressen. Ich mußte ihn an die Verlags-Archive lassen. Wenn deine Leute in die Stadt kommen , dürfen wir uns nicht sehen. Ich habe aber erreicht , daß ihr eine besondere Sendezeit im kirchlichen Video-Programm bekommt. Und was den Juniorpartner meines Vaters betrifft ... ich kann diesen Träumer nicht lieben! Er weiß so wenig von der Welt , wie ...
    Goetz preßte die Hand zusammen. Das Holografie-Foto zersprang knisternd in winzige Splitter.
    Sie hatte sich nur über ihn lustig gemacht! Das Mädchen, mit dem er durch die Wälder gegangen war, das er geküßt hatte und von dem er alles zu wissen glaubte, hatte ihn niemals ernst genommen!
    Im Gegenteil: Sie mußte ihn so verachtet haben, daß sie bereit gewesen war, ihn bei der Vorsorglichen Behütung zu denunzieren ...
    Er verstand nicht, was in ihr vorgegangen sein konnte. War sie vielleicht auch schon so selbstmörderisch fanatisiert gewesen wie viele andere junge Männer und Frauen, die bereits vor der Jahrtausendwende nichts lieber taten, als sich wie Lemminge selbst zu vernichten?
    Vielleicht mußte es so sein! Ein geheimnisvolles Regulativ der Natur, das immer neue Wege zur Begrenzung des Wachstums fand, wenn Hunger, Pest und Kriege nicht mehr ausreichten. Doch was geschah, wenn sich das Regulativ zur göttlichen Instanz erhob? Wenn Gott in einer menschlichen Regung beschloß, die Fäden aus der Hand zu geben, um zuzusehen, was seine Kinder machten, wenn er sie einfach mal laufen ließ?
    Goetz lachte. Allmählich fing er an, den Hohn und die Ironie seiner Lage zu begreifen. Gleichzeitig ging es ihm wieder besser.
    Eigentlich hatte er nichts von der Welt gewußt, in der er sich fünfundzwanzig Jahre lang wie ein stiller, geduldeter Gast aufgehalten hatte. Er war nur ein Statist gewesen. Jetzt wartete die gleiche Welt darauf, daß er

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