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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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der Weltlichen nachzuahmen. Sie folgten damit einem Trend zur Rückbesinnung, der schon in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrtausends begonnen hatte.
    Während Manager, Technologen und Politiker längst eine nur noch ihnen verständliche Formelsprache benutzten, suchten die Wissenschaftler bis zum letzten Augenblick nach dem Stein der Weisen in Atomen, Protonen, Neutronen und Quarks.
    Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit hatten so viele von ihnen auf so engem Raum nebeneinander gelebt und dabei so wenig voneinander gewußt!
    Die Früchte des Fortschritts hatten die Erde zu einem gigantischen Babylon gemacht, in dem nur noch die Psychoanalytiker vorgaben, einem anderen überhaupt zuhören zu können.
    Die Rückbesinnung war wie stets von den Randgruppen der Gesellschaft ausgegangen. Ausgestoßene, die nichts mehr zu verlieren hatten, Kranke, Schwache, Nutzlose, Parasiten des Systems und Genies, die an die Mauern ihres Weltbildes gestoßen waren, hatten sich in immer größerer Zahl von der Realität abgewandt.
    Als Emos fanden sie sich zu Millionen in Gefühlsgruppen zusammen, die in holzschnittartiger Vereinfachung den Sieg der Emotionen über den menschlichen Verstand zelebrierten.
    »Denken ist böse - fühlen ist gut!«
    In unbedeutender und von den jeweiligen Gesellschaftsordnungen tolerierten Anzahl hatte es ähnliche Sekten und Sonderlinge immer gegeben. Sie waren eine Art Blitzableiter für die Masse der angeblich Normalen. Aber erst mit dem endgültigen Verlust der Dorflinden, der religiösen Gefühlsfeste und der Familienbindungen waren große Teile der Menschheit sich selbst fremd geworden. Einige ahnten instinktiv, daß die Krankheit der Zivilisation eine weltweite Lemmingitis zur Folge haben mußte: eine von allen gefürchtete und in schizophrener Wut erhoffte Bestätigung der Lust am Untergang ...
    Als eintrat, was alle für möglich, aber niemand für zwingend gehalten hatte, war nicht einmal mehr Zeit für ein erkennendes Erschrecken gewesen!
    Nahezu jeder Bankert empfand in diesen Stunden eine tiefe Genugtuung, ja, sogar Freude über das grauenhafte Schicksal der Weltlichen. Jetzt waren sie, die Gnome, Zwerge, Mißgeburten, Herren der Welt!
    Sie wußten, daß sie draußen noch nicht wieder leben konnten. Das Gift der Neutronenbomben würde noch lang an den Häusern kleben. Es lauerte in den Straßen und hielt sich zäh in Feldern, Wald und Wiesen fest.
    Das Sakriversum war die Arche Noah. Dort gab es Lebensraum für viele, aber nicht für alle!
    Nancy McGowan gehörte zu jenen, die als eine der letzten Gruppen in die Stadt gekommen waren. Sie kannte das Sakriversum nur aus den Legenden der früher Geborenen. Unter anderen Umständen hätten sie und ihre Freunde über den gespenstischen Zug der Bankerts und der Schander nur gelacht, aber jetzt spürte auch sie, daß sich die Zeiten geändert hatten. Was wie ein böses, alptraumhaftes Spektakel wirkte, war mehr als eine gut inszenierte Zirkusvorstellung, mehr als eine hypnotische Seance!
    Sie blickte nachdenklich zum König ihres Volkes. Fackelträger, Schwertgesellen, eifernde Berater, Frauen und Kinder suchten seine Nähe. Viele formten mit den Händen uralte Beschwörungszeichen.
    Mißgeburten in staubigen bunten Kleidern wieselten wie Karikaturen von Kaufleuten aus anderen Jahrhunderten über die Treppenstufen unterhalb des Königs. Erschöpfte Schander wurden von den Beratern Corvays zur Seite gedrängt. Überall weinten Kinder und sehr weit unten übertönten Lellos Spottlieder die Klagen der Entrechteten.
    Corvay merkte, daß er Nancy und ihre Gruppe nicht einfach übergehen konnte. Diese Sippe war aus einem Land gekommen, das keine Zwergentradition besaß. Amerika war nun mal nichts für Trolle und für Heinzelmännchen , auch wenn sich Hollywood jahrzehntelang mit Überlieferungen aus der alten Welt geschmückt hatte!
    »Ich habe dich immer gemocht, Nancy«, sagte der König unvermittelt. »Erinnerst du dich noch an die Zeit in meiner Truppe? Da hast du manchmal Handstand auf meinem Kopf gemacht. Weißt du noch, wie die Weltlichen geklatscht haben, wenn du so tatest, als würdest du abrutschen und ich dich auffing, ehe du ins Sägemehl der Manege fallen konntest?«
    »Ja«, sagte Nancy bitter. »Und niemand hat mich gefragt, wie oft ich nachts weinend aufgewacht bin ...«
    »Ich habe dich jedesmal aufgefangen«
    »Corvay, der Gütige! Der mit dem Leben anderer gespielt hat für einen lächerlichen Applaus!«
    Der König der

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