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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Bankerts zog sein Schwert.
    »Schweig, Nancy McGowan! Nur wer sich unterwirft, wird mit mir ins Sakriversum einziehen! Das gilt auch für dich!«
    Er reckte sich und stieß sein Kurzschwert in die Scheide zurück.
    »Weiter jetzt!« befahl er.
    Der Treck setzte sich wieder in Bewegung. Ehemalige Artisten legten Leitern an die Stufen. Trapezkünstler spannten Seile und Netze über eingebrochene Mauerstücke. Stämmige Männer mit überdimensionalen Muskelpaketen an Armen und Beinen kletterten zu immer neuen Vorsprüngen in den steilen Wasserrinnen. Sie zogen halbwüchsige Mädchen nach, nahmen sie wippend in die Arme und schleuderten sie mit heiseren Schreien höher.
    Niemand störte sich daran, daß hin und wieder eines der Mädchen in eine Nische gedrängt wurde.
    Die anderen hängten sich wie menschliche Fledermäuse an die nächsten Stufen. Sie schlangen Schnüre um Unkrautwurzeln und Ansammlungen von verklemmtem Unrat, der irgendwann in den Hohlräumen der Mauern hängengeblieben war.
    Es war ein langer, langer Weg ins Sakriversum ...
    *
    Zur gleichen Zeit wachte Goetz vom Krächzen seiner eigenen Stimme auf. Er hatte von einem alten Kinderlied geträumt und es zu singen versucht.
    Seine ersten Gedanken nach dem Erwachen waren wie Märchenbilder, die sich rhythmisch ausdehnten und wieder zusammenzogen.
    Völlig zerschlagen richtete er sich auf. Er mußte eine Menge wirres Zeug durcheinander geträumt haben!
    Er reckte sich, stand auf und ging zu den Vorratsregalen. Gähnend suchte er einige Medikamente zusammen. Er spülte sie mit einem Schluck Cola hinunter. Aus einem Stapel leerer Vorratssäcke baute er sich ein Lager vor den Bildschirmen. Er wußte nicht, ob es hier unten Ungeziefer gab, deshalb schichtete er zuerst ein paar Pakete mit amtlichen Notrationen übereinander, ehe er die Stoffbeutel ausbreitete.
    Er legte sich wieder hin und versuchte, nachzudenken. Merkwürdig, daß er ausgerechnet in einer Kathedrale eine Möglichkeit zum Überleben gefunden hatte - in einem Relikt der Vergangenheit nach sieben Jahrhunderten »Fortschritt« in die falsche Richtung ...
    Biologisch gesehen waren siebenhundert oder achthundert Jahre Entwicklungsgeschichte nicht einmal erwähnenswert. Doch Goetz dachte an eine andere Art der Evolution, bei der Wert nicht mit Überlebenskraft und Selektion nicht mit Verbesserung gleichgesetzt werden konnten.
    Hatten die Menschen bei der kulturellen und ideellen Evolution einen Weg beschritten, der zwangsläufig zu einer tödlichen Sackgasse werden mußte, weil er auch für das Nichtsichtbare von Ideen jederzeit Beweise forderte?
    Oberflächlich betrachtet waren die großen Umwälzungen nach dem finsteren Mittelalter durch Macht- und Verteilungskämpfe entstanden. Die eigentliche Katastrophe mußte mit dem Zusammenbruch der kirchlichen Vormachtstellung begonnen haben ...
    *
    Für die Eroberung Jerusalems am 15. Juli 1099 waren noch die Normannen als wüste Draufgänger erforderlich gewesen. Doch auch die nachfolgenden Pilgermassen benahmen sich nicht besser. Da besann man sich im neugegründeten Königreich Jerusalem auf arme Soldaten-Mönche, die sich durch besondere Tapferkeit ausgezeichnet hatten.
    Zusammen mit französischen Rittern erhielten sie die Genehmigung zur Gründung kirchlicher Schutztruppen. Während die Johanniter sich vornehmlich um kranke Pilger kümmerten, sorgten die Tempelherren für sicheres Geleit und die Verteidigung der Landesgrenzen.
    Der Orden der Tempelherren genoß schon bald einen solchen Ruf, daß ihm von überall Spenden zuflossen. Infolgedessen gab er seine ursprüngliche Form auf und wurde nach außen hin immer weltlicher. Die Ritter trugen den weißen Mantel mit einem roten, achtspitzigen Kreuz - ihre untergeordneten Brüder, Güterverwalter und auch Ordenskleriker mußten sich mit schwarzen und braunen Gewändern begnügen.
    Bereits 1172 war der Orden so reich und mächtig geworden, daß er keine andere Autorität außer Gott mehr anerkannte. Der Großmeister hatte Fürstenrang, auch wenn er immer noch vom Kapitel der Ordensbrüder gewählt wurde.
    Der Orden zahlte keine Steuern, führte Kriege auf eigene Faust und war schließlich eine Art Überrepublik, die von England bis Zypern und von Portugal bis in die slawischen Gebiete reichte. Als »Kolonialmacht« häuften die Templer neben unermeßlichen weltlichen Schätzen auch fremdes Gedankengut in ihren Burgen und Großkomtureien an.
    Beinahe zwangsläufig wurde der Orden nicht nur dem Klerus,

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