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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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Leuten so schnell nach oben gelangen konnte ...
    *
    Der lange Marsch der Schander und der Bankerts näherte sich seinem Ziel. Müde, kraftlos und von den Wochen in der Dunkelheit gezeichnet, schleppten sich Männer, Frauen und Kinder über schmale Mauerstege.
    Die Vorboten von Corvays Treck erreichten das Rosettenfenster. Sie spannten lange Seile zu den Turmöffnungen. Bleich vor Angst, jederzeit abstürzen zu können, hangelten sich die kräftigsten von ihnen zu den bunten Scheiben. Obwohl die Schander noch erschöpfter wirkten als die Bankerts , blieben sie in Familiengruppen zusammen.
    Die Clans halfen sich gegenseitig. Wenn Bankerts kamen, die sie zu noch größerer Eile antreiben wollten, scharten sie sich um ihre Clan-Chefs, die mit fast tranceartiger Ruhe die Familien zusammenhielten. Die schwerste Aufgabe hatten die Mütter übernommen. Sie mußten Kinder trösten und ihnen immer wieder Mut machen. Während die Männer zusammen mit den Bankerts Seile gespannt, Leitern angelegt und Haken in die Mauern geschlagen hatten, waren sich die Frauen beider Völker unmerklich näher gekommen. Aber sie wußten, daß es bestenfalls ein Frieden auf Zeit war ...
    Vor dem Rosettenfenster an der Westseite der Kathedrale entstand ein Gewimmel wie zu den Bauzeiten der Türme. Die kleinen Menschen klammerten sich an jeden erreichbaren Mauervorsprung. Mit blutenden Fingern krallten sie sich in Fugen, die vor Jahrhunderten mit Senkblei und Wasserwaage ausgerichtet worden waren.
    »Ho-ho!« riefen Corvays Berater unablässig. »Wer’s bis zum Abend nicht erreicht hat, wird’s nimmermehr erreichen!«
    Pfiffe und Flüche schallten zwischen dem nördlichen und dem südlichen Turm der Kathedrale hin und her. Llewellyn Corvay ließ sich in einem Korbstuhl überholen. Er hatte viel von seiner Pracht verloren, aber er war und blieb der Mittelpunkt des Trecks.
    Galus, der Arzt, und Lello, der Narr, saßen wie staubige Vögel im Filigran des Rosettenfensters. Sie beobachteten, wie einige Schander den Leichnam von Meister Wolfram höher schleppten. Anders als die Bankerts hatten die Schander keinen ihrer Toten auf dem langen, mühsamen Weg zurückgelassen.
    »Wir müssen aufpassen, daß sie nicht durchdrehen, wenn sie entdecken, wie wir in ihrem Dorf gehaust haben«, sagte Lello kichernd.
    »Dazu sind sie zu schwach und zu feige«, sagte Galus.
    »Arme, scheue Kirchenmäuse«, schnaufte Hector. Er hatte kurz vor Corvay das Rosettenfenster erreicht. Die anderen Berater des Königs ließen sich stöhnend auf den behauenen Steinen der Fenstereinfassung nieder.
    »Hoffentlich befiehlt er für heute noch den Durchbruch ins Sakriversum«, seufzte Menennery Luck. Die anderen nickten zustimmend.
    Als Corvays Sessel fast bis zum Rosettenfenster gezogen worden war, knatterte plötzlich ein Motor los. Über eins der vielen parallel gespannten Seile vom Südturm zum westlichen Fassadengiebel der Kathedrale stieg schwankend und mit lauten Fehlzündungen ein Motorrad höher, an dem ein Pulk von Menschen hing.
    »Das ist doch dieser Jan mit seiner Truppe!« brummte Hector unwillig.
    »Nancy & Jan - die todesmutigen Wahnsinnszwerge!« sagte Lello. Seine Klampfe sah ziemlich ramponiert aus.
    »Sie hat ihn unterwegs verlassen«, sagte Galus.
    Menennery Luck leckte sich über die aufgeplatzten Lippen.
    »Wahrscheinlich ist sie vorausgsgangen und stellt schon mal den Wodka kalt ...«
    Die anderen lachten.
    Das knatternde Artisten-Motorrad kam viel zu schnell näher. Jan merkte nicht, daß er zu stark beschleunigt hatte. Er war nur das Gewicht seiner Partnerin Nancy gewöhnt. Jetzt hingen fünf Mitglieder der Truppe am Trapez unter den Rädern. Dadurch veränderten sich Winkel und Geschwindigkeit auf dem nicht straff gespannten Seil.
    Als er begriff, daß er zu schnell war, machte er einen weiteren, verhängnisvollen Fehler. Er verstieß gegen das oberste Gesetz aller Artisten und reagierte zu abrupt. Das plötzlich abgebremste Motorrad bäumte sich wie ein scheuendes Pferd auf. Durch die Fliehkraft schlug das Trapez mit seiner Menschentraube gegen die Mauer unter dem Rosettenfenster.
    Ein vielstimmiger Aufschrei ging durch die Reihen der Schander und Bankerts. Zwei Männer und ein Mädchen aus der Truppe konnten sich nicht mehr halten. Ihre Körper prallten gegen die Kathedralenmauer, dann stürzten sie senkrecht nach unten.
    Für einen Augenblick warteten alle auf den Aufschlag. Selbst die Kleinkinder spürten, daß etwas Furchtbares geschehen war. Als

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