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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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und Erde gewährte er, daß sich zwei Strudel in den Sielen unter der Stadt vereinten, um dadurch den Körper des Ertrinkenden gegen ein rostiges Fanggitter zu spülen.
    Zusammen mit allerlei Gerümpel hing die leblose Gestalt an rostigen Eisenstäben. Wichtiger noch als diese unerwartete Entwicklung war die Tatsache, daß sich der Körper von Goetz über seinem nach unten hängenden Kopf verklemmt hatte.
    Sein Magen revoltierte. Er mußte sich übergeben, obwohl er immer noch ohnmächtig war. Gleichzeitig floß Wasser aus seinen Lungen. Mit einem konvulsivischen Zucken saugte er ruckartig übelriechende Luft ein. Seine Finger verkrallten sich. Sie tasteten an den Gitterstäben entlang.
    Er hatte kaum noch Kraft, sich hochzuziehen. Nur der in seinem Unterbewußtsein gespeicherte Lebenswille half ihm weiter. Er klammerte sich an die Stäbe. Seine Beine rutschten in die gurgelnde Brühe zurück. Zentimeter für Zentimeter hangelte er sich zum feuchten Betonrand des unterirdischen Kanals.
    Seine suchenden Finger glitten immer wieder an der Schräge ab. Es war wie der Kampf der ersten Lebewesen, die den Ozean verließen, um fortan festen Boden unter sich zu haben ...
    Wie ein Frosch rutschte Goetz mit zuckenden Bewegungen weiter, bis ihm die Gleichgewichtsorgane in seinen Innenohren signalisierten, daß er es geschafft hatte. Die Anstrengung war so groß, daß er sofort wieder die Besinnung verlor.
    *
    Guntram ging am Bach entlang höher. Irgendwie schämte er sich, daß er Agnes allein zurückgelassen hatte.
    Weiter oben, im Sprühregen eines kleinen Stauwehrs, fand er gewalkte und ständig feucht gehaltene Weinsäcke aus Ziegenhäuten. Sie gehörten der Familie von Meister Bieterolf.
    Guntram füllte zwei Säcke mit klarem Wasser und hängte sie sich über die Schultern. Er ging zur Straße zurück. Als er am Gehöft von Meister Lamprecht vorbeikam, überlegte er, ob er Agnes sagen sollte, daß er jetzt zum Abendzeichen ging.
    Sie zeigte sich an keinem der Fenster. Guntram neigte den Kopf und legte den Riemen, mit dem er die beiden Wassersäcke verbunden hatte, auf die andere Schulter. Er verließ das Dorf und ging weiter nach Westen.
    Am Kleeberg sah er nur Unkraut. Der Hirseberg sah auch nicht besser aus. Als er die Hügelkuppe des Rübenbergs erreicht hatte, setzte er die Wasserschläuche ab und machte eine Pause. Er sah über die unbestellten Felder und wunderte sich, daß kaum sieben Wochen ausgereicht hatten, das Sakriversum so verwahrlosen zu lassen.
    Nach dem neuen Kalender der Weltlichen war dieser Tag der 21. April des Jahres 2018. Im Sakriversum hatten sie anders gerechnet. Guntram blickte zum Abendzeichen hinüber. Wenn er sich beeilte, konnte er seine Wasserschläuche dort ablegen und über den Eichberg bis an den Rand der Teufelsmauer gehen. Von dort aus brauchte er nur zwischen den Weinstöcken zu bleiben, um die Klause von Meister Albrecht oberhalb des Dorfes zu erreichen.
    Er hatte den Eremiten nur zwei- oder dreimal aus größerer Entfernung gesehen. Ob er überhaupt noch lebte?
    Guntram legte seine Hand über die Augen. Die Hügel unter dem Dach der Kathedrale sahen friedlich und still aus. Ab und zu huschten einige große Insekten durch das tausendfach gebündelte Licht aus den Beryllos-Linsen in der Schräge. Guntram hatte keine Angst vor ihnen. Das Bleidach hatte ihnen Schutz geboten, deshalb sollten sie leben ...
    Es schmerzte ihn, daß Agnes nicht verstanden hatte, was seine Pflicht war. Die Trennung tat ihm ebenso weh wie ihr. Aber es mußte sein! Wenn er jetzt nicht das Verbotene tat, das, wie er annahm, zu seinem Auftrag gehörte, konnte er niemals wieder aufrecht vor sie treten. Er mußte kämpfen: gegen sich selbst, gegen seine Furcht und gegen das Unbekannte, das sie zerstören konnte, wenn er nicht wenigstens versuchte, die Spielregeln ihrer Existenz zu ergründen ...
    Er nahm die Wassersäcke wieder auf und schleppte sie weiter. Unter normalen Bedingungen hätte ihm die schwere Last nichts ausgemacht, aber er fühlte sich immer noch schwach von den Wochen in den Bleikellern und vom langen, schweren Aufstieg.
    Im Wald wurde es kühler. Die Straße hörte gleichzeitig mit den letzten Bäumen im Westen auf. Jetzt kam nur noch ein halber Hügel. Guntram beugte sich vor, heftete seinen Blick auf die grauen Steine und trug die Wasserschläuche bis an die Scheiben des Abendzeichens. Er legte sie direkt auf einen Haufen bunter Scherben. Als er sich aufrichtete, sah er in das Gesicht eines

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