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Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale.

Titel: Das Sakriversum. Der Roman einer Kathedrale. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas R. P. Mielke
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nacheinander drei dunkle Flecken neben einem gelben Gabelstapler vor dem Portal der Kathedrale entstanden, bekreuzigten sich die Frauen der Schander. Die Bankerts schwiegen.
    Gleichzeitig war Llewellyn Corvay, unbehelligt von den Ereignissen unter ihm, am Rosettenfenster angekommen. Er wuchtete seinen schweren Körper neben Galus und Lello in das Filigran des Rosettenfensters.
    »Wir hätten doch schon unten in den Bleikellern eine Auswahl treffen sollen!« knurrte Hector. Corvay schüttelte den Kopf.
    »Dann wären alle unten geblieben!«
    »Das hätten wir uns nicht leisten können«, sagte Galus kopfschüttelnd. »Wir wissen nichts von Ackerbau und Viehzucht. Wir kennen nicht einmal die Regeln, durch die die Schander in ihrem Teil des Sakriversums die sieben Jahrhunderte relativ friedlich überstanden haben. Sie müssen ein Geheimnis kennen, durch das sie lebensfähiger geworden sind als unsere Vorfahren ...«
    »Sakriversum, Südhang, beste Sonnenlage«, höhnte Menennery Luck.
    »Das ist natürlich auch ein Grund gewesen«, stimmte Galus zu. »Aber die Sonne allein ist noch nie eine Garantie für den Bestand einer Kultur gewesen. Eher das Gegenteil trifft zu ...«
    »Du meinst, daß sich die Bankerts besser entwickelt haben müßten«, fragte Corvay interessiert. Er beobachtete, wie immer mehr kleine Menschen vom Südturm zur Westfassade der Kathedrale kletterten.
    »Große Kulturen entstehen nicht durch Überfluß, sondern durch Herausforderungen«, erklärte Galus. »So wie der Krieg der Vater vieler Fortschrittsphasen gewesen sein soll, hätte uns doch die Not stärker, kräftiger und einfallsreicher als die Schander machen müssen!«
    Hector spuckte aus.
    »Sie hatten von Anfang an die besseren Ausgangsbedingungen!«
    »Eben!« sagte Galus. »Das war ja unsere Chance ...«
    Menennery Luck lachte. Immer mehr Schander und Bankerts sammelten sich am Rosettenfenster. Es wurde Zeit, weiter vorzustoßen.
    »Ich möchte wirklich wissen, was uns eigentlich unterscheidet!« sagte Hector. Corvay warf Galus einen kurzen Blick zu.
    »Schander sind keine Einzelgänger wie die meisten von uns. Sie leben seit Jahrhunderten in vollkommener Isolation ohne Kontakt zu irgendwelchen anderen. Ihre Familien, ihre Clans und ihre Dorfgemeinschaft hat sie zu einem hierarchisch zusammengeschweißten Ameisenvolk gemacht ...«
    »Und alles ohne Königin!« kicherte Lello.
    »Stimmt!« sagte Galus und nickte. »Die Spitze der Pyramide fehlt. Sie haben keinen obersten Herrscher, keinen Papst und keinen König. Das ist das Eigenartige an ihnen. Alle Clan-Chefs sind gleichberechtigt, ganz gleich welches Handwerk von den Familien beherrscht wird. Sie verehren ihre Alten, aber keiner hat mehr Macht als ein anderer!«
    »Sowas wie Urchristen«, meinte Hector mit einem Anflug von Verständnis.
    »Vielleicht«, sagte Galus. »Sie haben immer alles gemeinsam gemacht. Jeder gab soviel, wie er konnte, und bekam, was er brauchte. Das ging soweit, daß sie in fruchtbaren Jahren sogar einen Teil ihrer Felder unbearbeitet ließen.«
    »Und die Bankerts auf der anderen Seite mußten hungern!« knurrte Hector. »Ich verstehe nicht, warum wir nicht schon vor Jahrhunderten auf die Idee gekommen sind, diese verdammte heile Welt anzuzapfen und dafür zu sorgen, daß sie uns miternährt ...«
    »Das habe ich mich gefragt, seit ich denken kann«, sagte König Corvay. »Und seit ich die Legenden von einer Welt im Überfluß hörte, während ich vor Hunger nicht einschlafen konnte.«
    »Vergeßt die Teufelsmauer nicht!« krächzte Lello. »Lello ist ein Narr, aber er weiß, was andere nicht wissen ...«
    König Corvay hob die Brauen.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Ich darf es nicht ...«
    »Du sprichst, oder ich werfe dich eigenhändig nach unten!«
    »Ich darf es wirklich nicht, mein König!«
    Lello zog sich zitternd in eine Mauernische zurück. Hector beugte sich vor. Die anderen Berater auf den Fensterrippen vor den bunten Scheiben hielten den Atem an.
    »Ein Narr hat ein verbrieftes Recht auf seine Weisheit«, warnte der Arzt Galus.
    »Was Recht ist, habe ich zu entscheiden!« gab Corvay zornig zurück. Er wandte sich wieder Lello zu. »Los, jetzt, oder ich mache meine Drohung wahr!«
    Lello wimmerte leise. Seine flinken Augen huschten hin und her. Er blickte nach unten, wurde blaß und lehnte sich mit einer kindlichen Gebärde schnell zurück.
    »Wer sich ... wer sich der Teufelsmauer nähert, die beide Seiten des Sakriversums in der Höhe trennt, der

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