Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
komplimentierte Melville Michel hinaus, und am nächsten Morgen brach er mit zwei voll beladenen Wagen und seinen Knechten nach Bar-sur-Aube auf.
Tags darauf bekam Michel Besuch von Raymond Fabre. Als der Schmied mit düsterer Miene in seine Schreibstube trat, wusste er sofort, was geschehen war. »Es ist Pierre, nicht wahr?«
»Berengar hat ihn draußen auf der Handelsstraße erwischt.«
Michel nahm einen tiefen Atemzug. »Ist er …«
»Er lebt. Sie haben ihn und seine Leute zur Burg verschleppt. Gerade hat de Guillory Pierres Familie eine Nachricht geschickt. Wenn sie ihn lebend wiedersehen wollen, müssen sie zahlen.«
»Wie viel?«
»Vierzig Pfund Silber.«
Das war selbst für einen reichen Mann wie Melville eine hohe Summe, zumal Pierre wie alle Schwurbrüder in den letzten Monaten viel Geld verloren hatte. Und die Reserven der Gilde, mit denen man ihm hätte helfen können, waren aufgebraucht. Michel ballte die Hand zur Faust und pochte langsam auf den Tisch. Schließlich öffnete er seine Truhe, die den letzten Rest seines Geldes enthielt, und entnahm ihr einen Beutel.
»Was habt Ihr vor?«, fragte Fabre.
»Ich gehe zu Pierres Familie und gebe ihnen das. Es ist das Mindeste, was ich tun kann.«
»Das habe ich auch schon versucht. Sie wollen keine Almosen. Sie sagen, sie schaffen das allein.«
Einige Tage später erfuhr Michel, dass Melvilles Schwestern das Lösegeld zu de Guillorys Burg hatten bringen lassen. Da Pierre nicht genug Silber im Haus gehabt hatte, waren sie gezwungen gewesen, zwei Pachtwiesen und ein Wohnquartier in der Unterstadt an das Domkapitel zu verkaufen. Pierres Entführung und der Raub seiner Handelsgüter waren ein schwerer Schlag für ihn und seine Familie gewesen. Wenigstens hielt de Guillory Wort und ließ ihn noch am selben Abend gehen. Zu allem Überfluss hatte Pierre sich im Kerker ein tückisches Fieber geholt, das seinen Körper auszehrte. Zwei Wochen lang fesselte ihn die Krankheit ans Bett, bevor er sich dank der Hilfe eines teuren Medicus langsam erholte.
Mitte März schließlich war die Stimmung unter den Schwurbrüdern auf dem Tiefpunkt. Hoffnungslosigkeit machte sich breit, und die Unterstützung für Michel in der Gilde bröckelte weiter. Einige Kaufleute, allen voran der geschwächte Melville, verloren allmählich den Glauben an seine Pläne von einer besseren Zukunft und sehnten sich nur noch nach Frieden, damit sie endlich wieder ihren Geschäften nachgehen konnten. Thibaut d’Alsace, der Michel selbst in guten Zeiten nur halbherzig unterstützt hatte, wünschte sich gar in aller Offenheit Jaufré Géroux als Gildemeister zurück und sprach sich dafür aus, man solle sich de Guillorys Forderungen bedingungslos beugen und die Brücke auf der Stelle einreißen. Niemand schloss sich ihm an, doch Michel bemerkte durchaus, dass Catherine, Carbonel, Fabre und Duval d’Alsaces Ansinnen nicht so entschieden zurückwiesen, wie sie es früher getan hätten.
Michel musste kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass seine Tage als Gildemeister gezählt waren, wenn nicht bald etwas geschah. Er musste etwas unternehmen, musste so schnell wie möglich dafür sorgen, dass die Fehde endete. Aber wie konnte er de Guillory dazu zwingen einzulenken, ohne dessen Forderungen nachzugeben?
Während er sich darüber den Kopf zerbrach, blieben seine Feinde nicht untätig. Am nächsten Tag bekam Michel Besuch von seinen Freunden, die ihm berichteten, sie hätten gerade mit Géroux gesprochen.
»Er hat uns heute Morgen eine Nachricht geschickt und uns zu sich nach Hause eingeladen«, erklärte Duval, der einen Verband am linken Unterarm trug. Seine Verletzung verheilte nur langsam.
»Wer ist ›uns‹?«, fragte Michel. »Ihr vier?«
»Alle Schwurbrüder. Nur Ihr nicht. Und natürlich Caron und seine Freunde.«
»Hätten wir gewusst, dass er ohne Euer Wissen mit uns reden will, wären wir nicht hingegangen«, fügte Catherine hinzu. »Aber wir haben erst dort erfahren, dass Ihr nicht eingeladen wart.«
Michel schwante Übles. »Was wollte er?«
»Gegen Euch Stimmung machen, was sonst?«, sagte Raymond Fabre, dem man die Kämpfe der vergangenen Monate ebenfalls ansah: An der Wange hatte er eine Narbe und an der Hand eine frische Prellung. »Er versucht, die Gilde zu spalten, indem er uns ein baldiges Ende der Fehde in Aussicht stellt.«
»Er hat uns ein Angebot des Bischofs überbracht«, erklärte Duval. »Ulman verlangt, dass wir Géroux wieder zum Gildemeister machen.
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