Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Fackel in den Schnee und spuckte aus. »Genug für heute. Gehen wir.«
Zuerst hatte Michel gedacht, die Männer würden zum Domplatz laufen. Dann jedoch bogen sie an der Abtei Longchamp nach Süden ab und rannten durch die Gassen des Schmiedeviertels, wo Michel und seine Gefährten sie wenig später verloren.
»Sie wollen uns zum Narren halten«, sagte er, als sie Atem schöpften. »Am besten kehren wir auf unsere Posten zurück und warten, ob sie zurückkommen.«
Gemeinsam gingen sie zum Domplatz. Inzwischen hatte der Wind nachgelassen, und es schneite kaum noch. Als sie sich gerade voneinander verabschieden wollten, entdeckte Michel Feuerschein über den Dächern jenseits des Doms. »Beim heiligen Jacques, in der Unterstadt brennt es.«
»Feuer! Feuer!«, schrien sie, während sie losrannten.
Die Feuersbrunst wütete am Fischmarkt. Einer der Lagerschuppen brannte lichterloh, und die Flammen hatten bereits auf das benachbarte Stallgebäude übergegriffen. Die Ochsen darin blökten angsterfüllt. Die halbe Unterstadt war auf den Beinen, Bornknechte und Tagelöhner organisierten eine Eimerkette und versuchten, den Brand zu löschen. Michel, Duval und ihre Begleiter packten mit an, doch sie konnten nichts mehr tun. Das Feuer war bereits zu groß, und da die Mosel und die meisten Brunnen in der Umgebung zugefroren waren, dauerte es zu lange, Wasser heranzuschaffen. Binnen einer Stunde brannten sowohl der Schuppen als auch der Stall nieder. Mit Müh und Not konnten die Helfer verhindern, dass sich das Feuer ausbreitete. Ohne den Schnee, der sämtliche Hütten und Lagerhäuser einhüllte und den Flammen einiges von ihrer Kraft nahm, wäre womöglich das ganze Viertel abgebrannt.
Fromony Baffour, dem beide Gebäude gehörten, kniete schluchzend vor den rauchenden Trümmerhaufen und klagte Gott an. Er hatte in dieser Nacht ein Vermögen an Salz, Gewürzen und Tuchen sowie die Hälfte seiner Saumtiere verloren.
Es gab keinen Zweifel daran, dass das Feuer de Guillorys Werk war: Schon vor einer Stunde hatte man die Leiche des Wächters gefunden. Mit durchbohrter Kehle lag der Söldner im Schnee, Mantel und Panzerhemd blutgetränkt. Michel half Yves, ihn in ein Leichentuch zu hüllen.
»Das ist alles Eure Schuld!« Michel wandte sich um und konnte gerade noch die Hände heben, um Baffours wütende Schläge abzuwehren. »Ihr und Eure verfluchte Brücke! Ihr habt uns das eingebrockt!«
»Jetzt seid doch vernünftig, Fromony«, ging Duval dazwischen. »Der Gildemeister kann nichts dafür. De Guillory hat Euch das angetan.«
Baffour ließ von Michel ab und begann wieder zu schluchzen. Jammernd schlurfte er über den Platz. »Ich habe alles verloren. Alles. Ich bin ruiniert.«
Bedauernd blickte Michel ihm nach. »Wenn er sich etwas beruhigt hat«, wandte er sich an Duval, »sagt ihm, dass die Gilde ihn unterstützen wird.«
Er rieb sich die brennenden Augen und hob seine Laterne auf. Es dämmerte allmählich. Als Yves und er eine Stunde später nach Hause gingen, schneite es wieder so heftig wie gestern Abend.
Januar 1188
V ARENNES -S AINT -J ACQUES
E s war bereits das dritte Mal, dass Bischof Ulman sich verleugnen ließ. Diesmal jedoch ließ Michel sich nicht abwimmeln. »Ich gehe erst, wenn ich mit ihm gesprochen habe. Also, wo ist er?«
»Das habe ich Euch doch schon gesagt«, erwiderte Namus, Ulmans Kammerdiener, mit wachsender Verzweiflung. »Seine Exzellenz hat die Stadt verlassen. Zur Mittagszeit ist er zum Landgut des Dompropstes aufgebrochen.«
»Du lügst. Im Hof steht sein Wagen. Ich habe ihn gesehen.«
»Er hat die Sänfte genommen.«
»Bei dieser Kälte? Wohl kaum.«
Namus war ein schmächtiger und kleiner Mann, und wie er versuchte, sich bedrohlich aufzuplustern, sah er recht traurig aus. »Ich muss Euch jetzt bitten zu gehen, Herr Gildemeister!«
Ohne ein weiteres Wort schritt Michel an ihm vorbei. Yves und Gérard starrten den Kammerdiener finster an, sodass Namus jeglicher Protest im Hals stecken blieb. Sie stiegen die Treppe hinauf und gingen zur Schreibstube des Bischofs. Michel öffnete die Tür, ohne anzuklopfen. In der Eingangshalle rief Namus nach den Wachen.
Ulman saß an seinem Tisch, polierte ein kleines Silberkreuz und würdigte ihn keines Blickes.
»Wieso lasst Ihr Euch verleugnen?«, fragte Michel.
»Ich bin sehr beschäftigt, Herr de Fleury. Darüber hinaus verspüre ich nur selten das Verlangen nach Eurer Gegenwart. Ihr Kaufleute verströmt mit jedem Atemzug Habsucht und Gier.
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