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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Michel bei Matenda.
    »Er war vorhin da und hat ihn noch einmal zur Ader gelassen.«
    »Was sagt er?«
    Das Gesicht der Köchin war grau vor Sorge. »Es steht nicht gut um ihn. Der Medicus gibt ihm höchstens noch ein paar Tage.«
    Mit zusammengekniffenen Lippen blickte Michel zu Adrien, dessen Hände sich in die Bettdecke gekrallt hatten. Obwohl er wusste, dass Hundswut fast immer zum Tod führte, weigerte er sich, die Hoffnung aufzugeben. Adrien hatte so lange für seine Familie gearbeitet, Michel würde nicht zulassen, dass ihm der alte Knecht unter den Händen wegstarb. »Können wir etwas tun?«
    »Der Medicus hat einen Kräutertrunk dagelassen. Wir sollen ihm morgens, mittags und abends davon geben, wenn er schlucken kann.«
    Michel ließ sich von Matenda das Fläschchen geben, setzte sich an Adriens Bett und tupfte ihm mit einem kühlen Lappen die Stirn. Der Knecht atmete schwer, doch er wachte nicht auf. Im Hospital der Abtei Longchamp hatte Michel einmal einen an der Hundswut Erkrankten gesehen, der in Raserei verfallen war und getobt hatte wie von Dämonen besessen, sodass ihn die Mönche schließlich ans Bett fesseln mussten. Er betete, dass Adrien wenigstens dieses scheußliche Schicksal erspart blieb.
    Er öffnete das Fläschchen. Kaum hatte er es dem Knecht an die Lippen gesetzt, bekam Adrien einen heftigen Krampf, spannte alle Halsmuskeln und -sehnen an und begann zu husten, sodass er den Kräutertrunk wieder ausspie. Michel verschloss die Phiole und beschloss, etwas zu warten, bevor er es noch einmal versuchte.
    Abermals tupfte er Adrien die Stirn. »Stirb nicht, alter Freund«, murmelte er. »Bitte stirb nicht.«
    Vivienne und Bernier blieben vier Tage in Varennes, bevor sie sich wieder auf dem Heimweg machten. Als sie auf Berniers Ochsenwagen kletterten, nahmen sie Michel und Jean das Versprechen ab, sie so bald wie möglich in Épinal zu besuchen. Zum Abschied drückte Michel Étienne an sich und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Er vermisste den kleinen Mann schon jetzt.
    In der Nacht nach Viviennes und Berniers Abreise starb Adrien. Michels Gebete wurden nicht erhört: Er erlitt einen qualvollen Tod. In seinen letzten Stunden wurden die Schmerzen und Krämpfe so schlimm, dass er ununterbrochen schrie und um sich schlug wie ein Berserker. Der Medicus tat alles, was in seiner Macht stand, um Adriens Pein zu lindern. Er ließ ihn zur Ader, machte ihm kühlende Umschläge und brandmarkte seine Stirn mit dem glühenden Hubertusschlüssel, den Pater Jodocus zuvor gesegnet hatte, in der Hoffnung, damit die Krankheit auszutreiben. Nichts davon half. Adrien brüllte und tobte, bis er schließlich in den frühen Morgenstunden erstickte.
    Thérese und Matenda saßen am Bett und weinten. Louis hockte wie erstarrt da und sprach den ganzen Tag kein Wort. Adrien war für den jungen Knecht wie ein Vater gewesen, und die Trauer um den alten Mann überwältigte ihn schier. Auch Michel und Jean vergossen viele Tränen. Adrien hatte bereits für die Familie gearbeitet, als sie noch Heranwachsende gewesen waren, und er war für sie mehr als ein Bediensteter gewesen – er war ihr Freund.
    Wie es seine Pflicht als Hausherr war, kam Michel für die Trauerfeier und die Beerdigung auf. Anschließend musste er sich um die unangenehme Aufgabe kümmern, einen neuen Knecht zu finden. Zwar widerstrebte es ihm, Adrien mir nichts, dir nichts zu ersetzen, doch ihm blieb nichts anderes übrig. Die Geschäfte gingen so gut, dass Louis allein die Arbeit im Haus nicht schaffte, obwohl Yves und Gérard überall mit anpackten. Er brauchte so schnell wie möglich einen neuen Knecht, der ein Händchen für Pferde hatte und sich um die Saumtiere kümmern konnte. Also sprach er beim städtischen Ausrufer vor und erteilte ihm den Auftrag, eine Woche lang auf dem Domplatz zu verkünden, dass Michel einen neuen Knecht suche und Interessenten sich bei ihm melden sollten.
    »Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte der Ausrufer. »Aber stellt Euch darauf ein, dass es schwierig wird. Gute Arbeitskräfte sind zurzeit rar in Varennes. Den Leuten geht es gut – viele Haushalte haben neue Knechte und Mägde eingestellt. Es kann sein, dass Ihr lange warten müsst.«
    »Ich warte so lange, wie es eben dauert«, sagte Michel.
    Zwei Tage später fand die erste Gildeversammlung nach dem Winter statt. Die Schwurbrüder erschienen beinahe vollzählig. Lediglich Abaëlard Carbonel kam nicht – der greise Kaufmann litt mehr und mehr unter den Gebrechen

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