Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
überragte. »Ihr habt sie doch aufgestellt? Obwohl Bischof Ulman euch nichts als Scherereien gemacht hat?«
»Es gab deswegen in der Gilde heftige Auseinandersetzungen«, sagte Michel. »Manch einer hätte sie am liebsten auf dem Domplatz zertrümmert. Aber das hätte unser Verhältnis zu Ulman nur noch schwieriger gemacht. Soll sie doch da stehen. Niemand stört sich daran.«
»Hat er wenigstens zum Dank die Brücke geweiht?«
»Du kennst unseren Bischof nicht. Er würde sich lieber die Zunge abbeißen, als der Gilde einen Gefallen zu erweisen. Für ihn ist die Brücke Luft. Wenn er zur Saline muss, nimmt er lieber de Guillorys Brücke, obwohl ihn das jedes Mal eine Stunde kostet.«
»Wofür sind die Wachen?«, fragte Bernier, als sie an den beiden Söldnern vorbeikamen, die am anderen Flussufer an der Mauer lehnten und den vorbeifahrenden Booten zuschauten.
»Nur eine Vorsichtsmaßnahme, falls unser Freund de Guillory plötzlich Lust verspürt, an der Brücke Feuer zu legen.«
»Würde er das wagen?«
Michel bezweifelte, dass Aristide de Guillory wirklich so dumm wäre, eine erst kürzlich von der Hofkanzlei genehmigte Brücke zu zerstören. Wenn der Kaiser davon erführe, fiele der Verdacht sofort auf ihn. Aber bald würde Barbarossa ins Heilige Land aufbrechen, und wenn der Kaiser fern der Heimat war, neigte der Adel dazu, Recht und Gesetz großzügig zu ignorieren. »Diesem Kerl ist alles zuzutrauen. Wir tun jedenfalls gut daran, uns abzusichern.«
Sie schlenderten den Weg entlang, der von der Brücke nach Osten führte. Sanfter Wind strich über die Büsche und Bäume am Ufer, und die Mosel glitzerte in der Sonne. Wenn man das saftige Grün der Wiesen und Hänge betrachtete, konnte man schwerlich glauben, dass hier noch vor zwei Wochen tiefer Schnee gelegen hatte.
Michel deutete auf die vorderste Hügelkuppe. »Lasst uns dort hinaufgehen. Von da oben hat man einen schönen Blick auf die Stadt.«
Sie folgten dem breiten Karrenpfad, den die Gilde angelegt hatte, um die Brücke mit der Saline zu verbinden. Im Frühling nach der Schneeschmelze und im Herbst, wenn der Dauerregen den Boden aufweichte, verschlammte er ständig, weshalb man immerzu mit dem Wagen stecken blieb. Michel hoffte, dass er seine Schwurbrüder im nächsten oder übernächsten Jahr davon überzeugen konnte, den Weg pflastern zu lassen, damit man ihn genauso komfortabel befahren konnte wie die alten Römerstraßen.
Auf dem Hügelkamm angekommen, wandten sie sich nach Varennes um, das sich auf der anderen Seite der Mosel ausbreitete. Aus Dutzenden von Kaminen quoll der Rauch der Herdfeuer, und der Wind wehte die Rufe der Marktschreier und den geschäftigen Lärm der Handwerksstuben zu ihnen herauf. Eine Zille steuerte gerade den Anlegesteg am Fischmarkt an. Drei Männer stiegen aus, vertäuten den Kahn und begannen, Fässer und Tuchballen abzuladen.
Unwillkürlich erinnerte sich Michel an den Tag seiner Heimkehr aus Mailand. Von hier oben betrachtet sah die Stadt genauso aus wie an jenem Abend vor nunmehr fast zwei Jahren, als er müde und erschöpft zum Tor geschlurft war. Ging man jedoch durch die Gassen, spürte man, wie viel sich seitdem getan hatte. Dank der neuen Brücke florierte der Handel. Nicht nur das Salz war billiger geworden, auch viele Güter aus dem östlichen Moseltal, die de Guillory früher mit hohen Zöllen belegt hatte, etwa Vieh, Getreide und Gemüse. Davon profitierte jeder Bewohner Varennes’, vom reichen Kaufmann bis zum einfachen Tagelöhner. Die Auswirkungen konnte man an jeder Ecke beobachten. Die Leute trugen bessere Kleider, gingen öfter auf dem Markt einkaufen und spendeten freigiebiger den Armen. Manch ein Handwerker, der zu Wohlstand gekommen war, riss seine alte Holzhütte ab und ersetzte sie durch ein Steinhaus.
Michel konnte nicht verhehlen, dass er überaus stolz auf sich und seine Schwurbrüder war. All die Mühen, die sie auf sich genommen hatten, all die Risiken und Gefahren hatten sich letztlich bezahlt gemacht. Nicht nur für die Gilde und Varennes – auch für seine Familie. Seit dem Ende der Fehde hatten Jean und er ein gutes Geschäft nach dem anderen gemacht. Sie hatten Salz in die Champagne geliefert und ganze Wagenladungen englischer Wolle mit zurückgebracht, sie waren in Burgund gewesen, am Rhein und einmal sogar in Brügge, wo sie kostbares flandrisches Tuch gekauft hatten. Bis weit in den Januar hinein war der Winter äußerst mild gewesen, sodass sie noch in der Adventszeit mit
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