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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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    Peccatum
et paenitentia
    März 1189
bis Juni 1190

März 1189

    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    M ichel trat durch den Torbogen in der Wehrmauer und blieb am Straßenrand oberhalb der Uferböschung stehen. Vor ihm rauschte die Mosel vorbei, beträchtlich angeschwollen wegen der Schneeschmelze in den Vogesen. »Schaut sie euch an. Ist sie nicht wunderbar?«
    Seine Schwester Vivienne und ihr Mann waren angemessen beeindruckt, als sie die neue Brücke erblickten. »Beachtlich, was ihr alles geleistet habt«, sagte Bernier. »Wirklich beachtlich.«
    Auf dem Viadukt herrschte wie immer reger Verkehr. Gerade jagte ein Reiter in donnerndem Galopp an einem Ochsenkarren vorbei, woraufhin ihn der Krämer auf dem Wagenbock wütend beschimpfte. Längst nicht nur die Kaufleute der Gilde nutzten die Brücke – auch fremde Händler, Bauern aus dem östlichen Moseltal und Pilger, die das Grab des heiligen Jacques besuchen wollten, machten reichlich Gebrauch von ihr. Nicht zu vergessen die Bornknechte der Saline: Wenn sie morgens bei Sonnenaufgang zur Arbeit aufbrachen, waren sie stets die Ersten, die sie überquerten. Die neue Brücke hatte sich für sie als wahrer Segen erwiesen, denn sie ersparte ihnen eine Stunde Fußmarsch.
    Seit die Gilde das Bauwerk im vergangenen November eingeweiht hatte, kam Michel fast jeden Tag hierher, wenn seine Geschäfte es zuließen. Dann überzeugte er sich davon, dass ein nächtliches Unwetter nichts beschädigt hatte oder dass die Instandhaltungsarbeiten ordnungsgemäß ausgeführt wurden. Meist aber stand er einfach da und betrachtete die Fußgänger, Reiter und Fuhrwerke, die mithilfe der imposanten Holzkonstruktion von einem Ufer zum anderen gelangten. Auch nach vier Monaten konnte er sich kaum sattsehen an der Brücke – an seiner Brücke, wie er sie insgeheim nannte.
    »Gehen wir hinüber«, schlug er Vivienne, Bernier und Jean vor.
    Michels Schwager war nach Varennes gekommen, um Salz einzukaufen. Vivienne hatte ihn begleitet, um ihre Brüder zu besuchen, die sie viel zu selten sah. Sie erkannte ihre einstige Heimatstadt kaum wieder, so viel hatte sich hier im letzten Jahr verändert. Und Michel erkannte seine Schwester kaum wieder. Sie war jetzt Mutter und eine umgängliche junge Frau, längst nicht mehr so sprunghaft und launisch wie früher. Étienne, ihr Sohn, war knapp anderthalb Jahre alt und seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Er saß in Viviennes Tragetuch, betrachtete die Welt mit großen Augen und gluckste immerzu fröhlich vor sich hin. Michel war ganz vernarrt in den kleinen Mann.
    Während sie über die Brücke schlenderten, schaute sich Vivienne nach Yves und Gérard um, die ihnen im Abstand von einigen Schritten folgten. »Die beiden nehmen ihre Aufgabe ja wirklich ernst.«
    »Danke, dass du mich an sie erinnerst«, meinte Michel säuerlich. »Gerade hatte ich sie vergessen.«
    »Ist es wirklich nötig, dass sie uns begleiten? Wir machen doch nur einen Spaziergang mit der Familie.«
    »Ja, es ist nötig«, sagte Jean. »Michels Feinde warten nur darauf, dass er leichtsinnig wird.«
    »Jean glaubt, dass mir hinter jeder Ecke gedungene Mörder auflauern«, erklärte Michel seiner Schwester. »Sogar an einem sonnigen Samstagnachmittag.«
    »Der Bettelritter hat dich auch am helllichten Tag angegriffen«, hielt sein Bruder dagegen. »Vor allen Leuten.«
    »De Guillory hat sich seit Monaten nicht in der Stadt blicken lassen. Und auch Bischof Ulman und Géroux verhalten sich seit Ewigkeiten ruhig.«
    »Das ist es ja, was mir Sorgen macht. Sie planen etwas. Du sagst doch selbst immer, dass sie sich nicht mit ihrer Niederlage abfinden werden.«
    Michel gab es auf. Das führte zu nichts. Jean und er waren einfach gegensätzlicher Ansicht, wie viel Schutz er brauchte, und er wollte nicht schon wieder mit ihm streiten. Das hatten sie im vergangenen Jahr wahrlich oft genug getan. In einigen Wochen würde sich die Angelegenheit ohnehin erübrigt haben: Yves und Gérard hatten sich Raymond Fabres Aufgebot angeschlossen. Anfang April würden sie nach Regensburg aufbrechen, um mit Kaiser Barbarossa ins Heilige Land zu ziehen. Sie würden viele Monate, wenn nicht Jahre fort sein. Michel konnte es kaum erwarten. Endlich keine Aufpasser mehr, die ihn auf Schritt und Tritt überwachten, die ihn zwangen, sich wie ein Dieb aus seinem eigenen Haus zu schleichen, wenn er Isabelle sehen wollte.
    Bernier betrachtete die Statue, die auf einem der Brückenpfeiler stand und die Brüstung

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