Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
gelaufen.«
»Haltet Ihr mich für einen Verräter?«
»Euer Verhalten während der Fehde hat doch gezeigt, wem Eure Loyalität gilt.«
»Ja«, knurrte Fabre mit Blick auf die Ministerialen. »Ulmans Spitzel – das seid ihr, alle vier. Ihr habt in der Gilde nichts verloren. Ich wünschte, wir hätten euch damals hinausgeworfen.«
Géroux, Guibert de Brette und die Gebrüder Nemours sprangen auf und beschimpften Fabre, woraufhin der Schmied, Catherine, Duval und Melville von ihren Plätzen auffuhren und versuchten, sie niederzubrüllen.
Michel schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Hört auf, oder ich beende die Versammlung! Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Ministerialen in der Gilde bleiben dürfen. Sie haben ihren Eidbruch mit hohen Strafen gesühnt – mehr gibt es dazu nicht zu sagen. So, und jetzt zu Raymonds Antrag. Lasst uns abstimmen. Wer ist dafür, dass wir aus der Gildekasse entschädigt werden?«
Michel und seine Freunde hoben die rechte Hand, außerdem Baffour, d’Alsace, Le Roux, Poupart und Chastain.
»Wer ist dagegen?«
Es meldeten sich Gaspard, Vanchelle, Baudouin, Pérouse und die Ministerialen.
»Das macht zehn zu acht Stimmen«, sagte Michel. »Damit ist der Antrag angenommen.«
»Hervorragend«, bemerkte Gaspard. »Unser Meister missbraucht seine Macht, damit sich seine Freunde und er auf Kosten aller bereichern können. Ein glücklicher Tag für die Gilde.«
»Niemand missbraucht hier seine Macht«, erwiderte Duval. »Es war eine offene und rechtmäßige Abstimmung unter den Augen der Heiligen. Akzeptiert das Ergebnis.«
»Lasst die Heiligen aus dem Spiel. Bloß weil irgendein Narr vor Urzeiten Jacques, Nikolaus und Petrus an die Decke gemalt hat, heißt das noch lange nicht, dass alles rechtens ist, was hier geschieht.«
Poupart und d’Alsace, beides tiefreligiöse Männer, erbleichten. »Blasphemie«, murmelte d’Alsace.
»Es reicht, Gaspard«, sagte Michel warnend. »Manchmal geht es eben nicht nach deinem Kopf. Finde dich damit ab.«
»Sonst was?«, fragte der schwarzhaarige Kaufmann herausfordernd. »Schließt Ihr mich aus der Gilde aus?«
»Beim Allmächtigen, das würde ich gern. Leider reicht kindisches Benehmen dafür nicht aus. Ein saftiges Bußgeld dürfte nach den Statuten aber durchaus angemessen sein. Also nur weiter so. Je mehr Geld in die Gildekasse fließt, desto schneller bekomme ich meine Ausgaben zurück.«
Der Blick, mit dem Gaspard ihn anstarrte, war voller Mordlust. Für den Rest des Abends sagte er keinen Ton mehr.
Als die Versammlung eine Stunde später schloss, war Gaspards Wut noch lange nicht abgekühlt. Ohne ein Wort des Abschieds verließ er die Gildehalle und schritt über den nächtlichen Domplatz, während er im Stillen Michel verfluchte.
Er hat mir tatsächlich ein Bußgeld angedroht. Dieser Hund! Es reicht ihm nicht, dass er mich ausgestochen hat. Er will mich bloßstellen, erniedrigen, demütigen. Verdammter Emporkömmling!
Warum verhielt sich Michel ihm gegenüber derart niederträchtig? Wollte er sich rächen, weil Gaspard ihm verbot, Isabelle zu sehen? Ja, das musste es sein. Eine andere Erklärung fiel Gaspard nicht ein.
So konnte es nicht weitergehen. Er musste endlich etwas unternehmen.
Nur was? In der Gilde war Michel übermächtig, und daran würde sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Gaspard musste einen anderen Weg finden. Was ist Michels größte Schwäche? Zum hundertsten Mal zerbrach er sich darüber den Kopf, ohne eine befriedigende Antwort zu finden.
»Herr Caron! Habt Ihr einen Augenblick Zeit für mich?«
Unwillig wandte Gaspard sich um. Der Mann, der auf ihn zukam, war Hernance Chastain, einer der neuen Schwurbrüder, ein wohlhabender und angesehener Tuchfärber, der drei Werkstätten in der Stadt besaß.
»Ihr wünscht?«
»Mein Anliegen ist vertraulich. Können wir ein paar Schritte zusammen gehen?«
»Natürlich.«
Gaspard wusste nicht recht, was er von Chastain halten sollte. Der Tuchfärber wirkte schüchtern und hatte Schwierigkeiten, einem Mann in die Augen zu sehen. Auch bei den Gildeversammlungen hielt er sich üblicherweise zurück, doch wenn er einmal sprach, machte er einen besonnenen und recht klugen Eindruck. Leider war auch er Michels schönen Reden verfallen und gab ihm immerzu seine Stimme.
Sie schlenderten über den Platz. Chastain schien sehr darauf bedacht, dass keines der anderen Gildenmitglieder seine Worte hören konnte. »Es ist so«, begann er verlegen. »Da sich meine
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