Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Kaufleuten heraufbeschworen. Natürlich scheute er keinen Konflikt mit ihnen, aber er war auch kein Dummkopf. Sie waren zu stark, als dass er es gefahrlos mit ihnen hätte aufnehmen können. Noch eine Niederlage würde seiner Autorität unheilbaren Schaden zufügen. Er würde sie erst dann herausfordern, wenn ihm der Sieg sicher wäre.
Er betrat den großen Saal, schritt zum Fenster und betrachtete mit gerunzelter Stirn die Gildehalle auf der anderen Seite des Domplatzes. Seit einiger Zeit verhielten sich die Kaufleute ruhig. Ausnahmsweise einmal schienen sie sich nur um ihre Geschäfte zu kümmern, statt Intrigen gegen Obrigkeit und Kirche zu spinnen. Von Jaufré Géroux und den anderen Ministerialen wusste Ulman, was bei den Gildezusammenkünften geschah. Nichts davon war sonderlich aufregend: Gaspard Caron schien seinen Einfluss auszubauen. Offenbar hatte sich der Tuchhändler Hernance Chastain nach seiner Hochzeit mit Carons Schwester auf dessen Seite geschlagen und gab ihm stets seine Stimme. Am Machtgefüge der Gilde änderte das freilich wenig. Unangefochtener Wortführer der Kaufleute war und blieb dieser Emporkömmling de Fleury.
Ulmans Blick wanderte von der Versammlungshalle zum Haus des Gildemeisters. Solange de Fleury eine Mehrheit der Schwurbrüder hinter sich vereinte, musste Ulman mit heftigem Widerstand rechnen, würde er das Geld verrufen.
Er presste die Fingerkuppen so fest auf den Fenstersims, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Er musste weiter warten. Warten, bis sich de Fleury endlich eine Blöße gab.
Es blieb nicht bei einem Treffen. Schon vier Tage, nachdem sie sich geliebt hatten, trafen sie sich abermals in der Herberge am Nordtor. Und eine Woche darauf erneut.
Michels Angst um Isabelle wuchs von Tag zu Tag. Ehebruch war ein Angriff auf die Grundfesten christlicher Gemeinschaft und ein schweres Verbrechen gegen kirchliches und weltliches Recht. Vor allem sündigen Frauen drohten drakonische Strafen. Während sich der ehebrecherische Mann meist mit einer Geldbuße von seinem Vergehen reinwaschen konnte, musste die Frau damit rechnen, von Gemahl und Familie in die Ehrlosigkeit verstoßen zu werden, was meist ein Leben in Elend, Armut und Einsamkeit nach sich zog. In besonders schweren Fällen durfte das Schöffengericht gar grausame Leibstrafen verhängen. Schon so manche Ehebrecherin war am Pranger auf dem Domplatz vom städtischen Scharfrichter gezüchtigt worden und später an ihren Verletzungen gestorben.
Das kann so nicht weitergehen, dachte er, als er eines Abends von einem Treffen mit Isabelle nach Hause eilte. Du musst das beenden. Du zerstörst sonst ihr Leben.
Sein Vorsatz hielt genau drei Tage. Dann bekam er wieder eine Nachricht von Isabelle und machte sich ohne zu zögern auf den Weg zu ihr. Er konnte ihr verbotenes Verhältnis nicht beenden, und sie konnte es auch nicht. Ihre Sehnsucht, ihre Liebe zueinander waren stärker als jede Vernunft, mächtiger als die Angst vor Entdeckung.
Außerdem hatten sie leichtes Spiel. Nachdem es Isabelle gelungen war, Chastains Misstrauen zu zerstreuen und ihn glauben zu machen, sie erwidere seine Zuneigung, durfte sie ohne Begleitung das Haus verlassen, wann immer sie wollte. Hinzu kam, dass Chastain meist von früh bis spät in einer seiner Werkstätten arbeitete und gar nicht mitbekam, was sie tat. Wenn er es doch einmal erfuhr, machte sie ihm weis, sie streife über die Felder und Wiesen und beobachte die Tiere, wie es seit ihrer Kindheit ihre Gewohnheit sei. Er ließ sie gewähren.
»Tut, was immer Euch glücklich macht«, sagte er selig lächelnd. »Wenn Ihr glücklich seid, bin ich es auch.«
Inzwischen hielt Michel es für zu riskant, sich mit Isabelle in der Herberge zu treffen. Da waren zu viele Menschen, zu viele Augen und Ohren, und der Wirt wurde immer gieriger. Sie brauchten ein besseres Versteck, eines, wo sie gänzlich unbeobachtet wären. Er hörte sich in der Stadt um und erfuhr, dass die Abtei Longchamp einen Käufer für ein Grundstück samt Hütte am Waldrand suchte, eine Viertelmeile westlich der Stadt gelegen. Die kleine Kate aus Lehm, Feldsteinen und Grassoden war wie geschaffen für ihre Zwecke: Sie stand im Schutz der Bäume, und wenn man zu ihr wollte, ohne dass einen die Bauern auf den Äckern sahen, musste man lediglich vom Heumarkt aus auf der Straße ein Stück nach Westen gehen und dann einem alten, halb überwucherten Köhlerpfad nordwärts durch den Wald folgen.
Kurzerhand kaufte Michel die
Weitere Kostenlose Bücher