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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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guten Absichten zu versichern. In den folgenden Wochen versuchte sie subtil, aber beharrlich, ihm ihre vermeintliche Zuneigung zu zeigen. Sie hörte ihm geduldig zu, wenn er von seinen geschäftlichen Sorgen berichtete, und gab ihm gute Ratschläge. Wenn er abends von der Arbeit kam, brachte sie ihm einen Krug Wein. Mit seiner Mutter verschönerte sie weiter das Haus. Zu seinen Schwestern baute sie ein freundschaftliches Verhältnis auf.
    Ihre Selbstachtung sank von Tag zu Tag, dafür stellte sich allmählich der gewünschte Erfolg ein. All diese kleinen, aber wirkungsvollen Gesten bewirkten, dass er Vertrauen zu ihr fasste und sie nicht mehr von früh bis spät überwachen ließ. Zwei Tage nach Mariae Himmelfahrt durfte sie erstmals ohne Begleitung das Haus verlassen.
    Heimlich schrieb sie eine Nachricht und verbarg sie im Ärmel ihres Gewandes, bevor sie nach draußen ging. Sie fühlte sich, als hätte man sie aus einem Kerker freigelassen. Zum ersten Mal seit zwei Monaten schien sie wieder richtig atmen zu können. Lächelnd schlenderte sie an Läden und Handwerksstuben vorbei, lauschte dem Raunen der Stadt und genoss die Morgensonne auf ihrem Gesicht.
    Sie hielt einen Jungen an, der die Grande Rue entlangrannte. »Willst du dir zwei Deniers verdienen?«
    Der Bursche grinste breit. »Immer doch, schöne Dame.«
    »Bist du verschwiegen?«
    »Wie ein Grab!«
    »Gut. Bring das Herrn de Fleury, dem Gildemeister. Aber achte darauf, dass dich niemand sieht. Hier ist ein Denier für deine Dienste. Der zweite ist dafür, dass du den Mund hältst. Hast du verstanden?«
    »Ihr könnt Euch auf mich verlassen, schöne Dame.« Mit ihrer Nachricht in der Hand rannte der Junge davon.
    Kaum war der Bote fort, ging Michel ins Haus und faltete den Brief auseinander. Als er die Schrift erkannte, schien sein Herz einen Schlag auszusetzen.
    Komm zur Herberge am Nordtor. Ich muss dich sehen. Isabelle
    Das Pergament knisterte, als er seine Hand unwillkürlich zur Faust ballte. Endlich hatte sie es geschafft, ihrem goldenen Käfig zu entfliehen, wenigstens für ein paar Stunden. Obwohl Michel gerade in Arbeit versank, ließ er alles stehen und liegen, hüllte sich in seinen Umhang und eilte durch die Gassen.
    Sie hatten Glück: Ihre Dachkammer war gerade nicht belegt. Michel gab dem Wirt ein großzügiges Schweigegeld, bevor er die Stufen hinaufeilte. Isabelle erhob sich von dem Schemel am Fenster, als er eintrat. Obwohl alles in ihm danach schrie, sie in die Arme zu nehmen, sie an sich zu drücken, sie zu berühren und zu küssen, zögerte er. Früher war ihr heimliches Verhältnis lediglich eine Sünde gewesen. Jetzt wäre es ein Verbrechen, für das man sie hart bestrafen würde, wenn man ihnen auf die Schliche käme. Schon dass sich Isabelle, eine verheiratete Frau, allein mit ihm traf, war ein Verstoß gegen kirchliches Gesetz.
    Eine Weile standen sie da und musterten einander, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen. Es gab so vieles, das Michel ihr sagen wollte, doch ihm kam nur ein Wort über die Lippen.
    »Isabelle.«
    »Michel«, sagte sie leise, flüsternd gar. Sie lächelte. Gleichzeitig erschien in ihren Augen eine Regung, die er nicht kannte, die früher nicht da gewesen war. Schmerz , dachte er. Einsamkeit .
    Langsam machte er einen Schritt auf sie zu. »Wie behandelt dich Chastain?«
    »Er tut sein Bestes.«
    »Er schlägt dich doch nicht?«
    »Das würde er niemals wagen. Auf seine Weise ist er ein guter Mann. Sorge dich nicht um mich.«
    »Ich wünschte, ich wäre da gewesen«, sagte Michel. »Ich habe dich im Stich gelassen. Ich hätte … ich …« Seine Stimme versagte.
    »Du hättest nichts tun können.« Sie trat auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Wange. Ihre Finger waren kühl und weich, beinahe wie Seide. »Du fehlst mir, Michel. Tag und Nacht. Jede Stunde, jede Minute. Das ist am schlimmsten.«
    Er nahm ihre Hand in seine, küsste ihre Finger und schloss die Augen. Er spürte ihren Atem auf seinem Gesicht, bevor ihre Lippen seine fanden. Es war ein gieriger, verzweifelter Kuss, und ihre Finger fuhren durch sein Haar.
    »Liebe mich«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
    »Nein, Isabelle. Das dürfen wir nicht.«
    »Das ist mir egal. Ich will vergessen, Michel. Wenigstens für eine kurze Weile.«
    Sie griff nach ihrer Brosche.
    Leise raschelnd glitt ihr Umhang zu Boden.

September 1189

    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    I m Spätsommer des Jahres 1189 verstarb nach sechsjähriger Amtszeit überraschend Folmar von

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