Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Parzelle. Von nun an trafen sich Isabelle und er dort. Mindestens einmal pro Woche, manchmal öfter.
Anfangs ließ Isabelle ihm eine Nachricht zukommen, wenn sie ihn treffen wollte. Michel jedoch misstraute den Halbwüchsigen, die ihre Briefe überbrachten. »Was, wenn einer deine Nachricht liest und damit zu Chastain läuft, um sich ein paar Sous zu verdienen?«, gab er zu bedenken. »Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.«
Fortan versteckte Isabelle ihre Botschaften auf dem Friedhof von Saint-Pierre. Auch ihr Vater lag unter den drei Birken begraben, sodass niemand Fragen stellte, wenn sie mehrmals in der Woche den Gottesacker besuchte. Ihre Briefe versteckte sie hinter einem losen Stein in der Friedhofsmauer, wo Michel sie fand, wenn er zum Grab seines Vaters ging. Er machte es sich zur Gewohnheit, Abend für Abend an seiner Pfarrkirche vorbeizuschlendern und unauffällig nachzuschauen, ob sie eine neue Nachricht für ihn hinterlegt hatte. So wusste er immer, wann sie ihn treffen konnte.
Trotz seiner Vorsicht bemerkte er nicht, dass man ihn seit geraumer Zeit beobachtete.
Seit Jean, Yves und Gérard fort waren, konnte Michel tun und lassen, was er wollte. Niemand begleitete ihn, wenn er das Haus verließ; niemand folgte ihm auf Schritt und Tritt und forderte Rechenschaft, wenn er sich seinen Aufpassern entzog. Wenngleich sich Thérese, Matenda und besonders Louis nach wie vor um seine Sicherheit sorgten, hatten sie doch meist zu viel Arbeit, um zu bemerken, wenn er für ein paar Stunden verschwand.
Einem jedoch fiel es auf: Foulque.
Schon vor Michels Reise nach Flandern hatte der Knecht bemerkt, dass sein Herr hin und wieder davonhuschte und, in einen weiten Umhang gehüllt, im Gassengewirr verschwand. Seit etwa zwei Wochen tat er es wieder, wie Foulque interessiert zur Kenntnis nahm. Er beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Vielleicht fand er auf diese Weise endlich etwas.
Was hatte er in den letzten Wochen und Monaten nicht alles versucht … Heimlich hatte er im Keller gestöbert und im Dachspeicher, hatte jeden Winkel des Hauses durchsucht, sogar die Schlafkammer seines Herrn. Er hatte sich während de Fleurys Handelsreise Zutritt zur Schreibstube verschafft, die Truhen geöffnet und sämtliche geschäftlichen Aufzeichnungen studiert. Nichts. Kein Hinweis auf Unregelmäßigkeiten oder betrügerische Machenschaften. Sein Herr zahlte all seine Steuern, entrichtete sämtliche Marktgebühren und -zölle und schummelte nicht beim Wiegen der Ware wie so viele Händler. Es war zum Verzweifeln. Dieser Mann war so rechtschaffen wie der heilige Jacques.
Foulques Auftraggeber waren nicht zufrieden. Es müsse doch etwas geben, mit dem sie de Fleury zu Fall bringen konnten, hatten sie gesagt. Niemand, nicht einmal ein Kardinal, habe eine derart reine Weste!
Also suchte Foulque weiter. Er war der vollkommene Bedienstete: fleißig, freundlich, unauffällig. Meist hielt er sich im Hintergrund, doch wenn es die Herrschaften einmal nach Zerstreuung verlangte, hatte er stets eine gute Geschichte parat. Der einfache, leutselige Bursche, das war Foulques liebste Maskerade, und sie hatte auch diesmal ihre Wirkung nicht verfehlt. De Fleury vertraute ihm und ließ ihn in Ruhe, sodass er weiter unbehelligt beobachten und lauschen konnte.
Und jetzt war sein Jagdfieber erwacht. Dass sich sein Herr regelmäßig von zu Hause davonstahl, konnte nur bedeuten, dass er ein dunkles Geheimnis hegte. Er beschloss, ihm zu folgen.
Es war nicht leicht. De Fleury verstand sich darauf, verstohlen durch die Straßen zu eilen, in der Menge unterzutauchen, plötzlich in einem schattigen Winkel zu verschwinden. Und ständig schaute er sich um, ob ihm jemand folgte. Doch Foulque war nicht nur ein guter Beobachter – vor allem war er ein hervorragender Jäger. Ungesehen ging er seinem Herrn bis zum Heumarkt nach, wo de Fleury in eine menschenleere Gasse huschte und durch eine der vielen Breschen in der Wehrmauer schlüpfte. Außerhalb der Stadt war es noch schwieriger, ihn zu verfolgen, doch Foulque gelang auch das. Im Schutz von Sträuchern und Bäumen setzte er de Fleury nach, bis er schließlich zu einer kleinen Hütte kam. Gerade noch sah er den Kaufmann in der Kate verschwinden.
Angespannt kniff Foulque die Lippen zusammen. Er wartete eine Weile, doch de Fleury ließ sich nicht wieder blicken. Geduckt schlich er zur Hütte und lauschte an der Tür.
Zwei Stimmen. Die seines Herrn und die einer Frau.
Kleider raschelten.
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