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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Gericht standen, erlebten die Bewohner Varennes’ nicht alle Tage. Immer mehr Menschen strömten während der Verhandlung zum Bischofspalast, sodass fast tausend Augenpaare dabei zusahen, wie Martels Büttel Isabelle über den Domplatz zum Marktkreuz zerrten.
    Bauern waren da, Tagelöhner, Krämer, Handwerker. Sie alle bekamen nicht genug von diesem köstlichen Schauspiel. Endlich ging es diesem sündigen Luder an den Kragen.
    Zwei Büttel zwangen Isabelle vor dem Marktkreuz auf die Knie, damit ihr der Scharfrichter die Haare scheren konnte. Die Leute reckten die Hälse. Würde sie weinen, klagen, um Gnade flehen? Nein, das Weib blickte stur geradeaus und zeigte keine Regung, zuckte nicht einmal vor Schmerz zusammen, obwohl ihr die schartige Klinge des Scharfrichters die Kopfhaut zerkratzte.
    Anschließend zerriss man ihr das Kleid und das Untergewand, sodass man ihre Schenkel, ihre Hüften, ihre linke Brust sehen konnte. So manchem Mann fielen fast die Augen aus dem Kopf. Bei Gott, war das Weib schön! Kein Wunder, dass sie von Sünde und Wollust schier zerfressen war.
    Martels Büttel schafften die Halsgeige herbei, einen schweren Balken aus zwei Teilen mit Löchern für den Hals und die Handgelenke der Ehrlosen. Der Scharfrichter legte Isabelle das Instrument der Schande an und schloss die Eisenklammern.
    »Auf geht’s, du Luder!«, brüllte er. »Dreihundert Schritte bis zum Nordtor, oder ich mach dir Beine. Eins! Zwei! Drei …!«
    Die Menge bildete eine Gasse und johlte, als Isabelle sich über den Platz kämpfte. Die Halsgeige lastete wie ein Mühlstein auf ihrem Nacken. Das Loch für den Hals war zu eng, sodass sie kaum Luft bekam. Ständig verhedderten sich Fetzen ihres Kleides zwischen den Fußknöcheln und drohten, sie zu Fall zu bringen. Doch obwohl jeder Schritt eine Qual war, war Isabelle fest entschlossen, der Meute nicht zu zeigen, wie sie litt. Sie kämpfte die Tränen zurück, biss die Zähne zusammen, richtete sich so weit wie möglich auf und ging weiter, immer weiter. Ihr werdet keinen Laut der Klage von mir hören. Und wenn ich daran ersticke.
    »Siebenundsechzig, achtundsechzig …«
    Sie schleppte sich die Grande Rue hinauf, vorbei an dem geifernden Mob, durch die Gasse aus schwitzenden Gesichtern, brüllenden Mäulern und grabschenden Händen.
    »Hundertneun, hundertzehn …«
    Eine fette Frau schob sich in die vorderste Reihe, die speckigen Wangen rot vor Eifer. Chastains Mutter. »Hure!«, kreischte sie. »Das ist für Hernance!« Sie spie Isabelle einen Klumpen Speichel und Rotz ins Gesicht.
    »Hundertzweiundfünfzig, hundertdreiundfünfzig …«
    Etwas Hartes prallte ihr gegen die Schläfe – eine alte Zwiebel. Sie konnte nicht erkennen, wer sie geworfen hatte, doch plötzlich schien jeder ein Stück fauliges Obst oder Gemüse in der Hand zu halten. Brüllend bewarfen die Leute Isabelle mit ihren widerwärtigen Geschossen, sodass ein wahrer Hagel aus matschigen Rüben, Äpfeln und Gurken auf sie niederprasselte. Sie taumelte und wäre beinahe gestürzt. Nicht fallen, befahl sie sich und rappelte sich auf. Du darfst nicht fallen.
    »Zweihundertfünf, zweihundertsechs …«
    Sie keuchte, ihr Nacken und die Schultern waren taub und steif von der Last der Halsgeige. Nur kurz stehen bleiben und Atem schöpfen …
    »Nur keine Müdigkeit vorschützen!«, brüllte der Scharfrichter, und Speichel sprühte von seinen verschorften Lippen. »Weiter, na los! Zweihundertzweiundsiebzig, zweihundertdreiundsiebzig …«
    Seine Rute klatschte auf ihre Schenkel, und die Tränen schossen ihr in die Augen. Bald, bald hatte sie es geschafft. Irgendwie fand sie einen letzten Rest Kraft in sich und tat einen Schritt, einen weiteren. Noch zwanzig. Noch neunzehn …
    »Dreihundert!«
    Sie fiel auf die Knie und rang mit der Ohnmacht. Das Geschrei sank zu einem fernen Raunen herab, um sie herum huschten Gestalten, griffen nach ihr. Wütende Stimmen, als die Büttel die Leute von ihr wegtrieben. Jemand machte sich an der Halsgeige zu schaffen und langte ihr dabei wie zufällig an die nackte Brust. Plötzlich konnte sie wieder frei atmen. Sie fiel mit dem Gesicht voran in den Schmutz und grub die Finger in die festgestampfte Erde der Straße.
    »Isabelle!«, rief jemand.
    Michel. Sie wollte sich aufrichten, ihn ansehen, doch ihre Arme waren taub und kraftlos und gehorchten ihr nicht mehr.
    »Wage es ja nicht, sie anzurühren, oder ich stech dich ab!« Ihr Bruder. »Schafft sie nach Hause, na los.«
    Hände packten

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