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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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die Gilde führt. Das bin ich.«
    »Auf keinen Fall!«, rief Caron und stand ebenfalls auf. »Wir halten eine ordentliche Wahl ab, wie es die Statuten für diese Situation vorschreiben.«
    »Und wenn kein Kandidat eine Mehrheit bekommt? Wollt Ihr in Kauf nehmen, dass die Gilde im Chaos versinkt?«
    »Wenn keiner eine Mehrheit erhält, wählen wir eben so lange, bis sich ein Bewerber gegen die anderen durchsetzt«, sagte Duval. »Caron hat recht. Alles andere stünde nicht in Einklang mit unseren Statuten.«
    »Ja, eine Wahl!«, brüllte Pérouse mit rotem Gesicht und hieb mit der Faust auf den Tisch.
    Géroux sah ein, dass er sich der Stimmung im Saal beugen musste. »Also gut. Ich stelle mich zur Wahl. Wer noch?«
    »Ich«, erklärte Caron, was ihm Hochrufe seiner Anhänger einbrachte.
    »Noch jemand?«
    »Wir müssen uns zuerst beraten«, sagte Duval und zog sich mit Partenay, Melville und Le Roux in eine Ecke des Saales zurück. Nachdem sie eine Weile getuschelt hatten, erklärte Melville:
    »Ich kandidiere ebenfalls.«
    Die Schwurbrüder einigten sich darauf, dass Guibert de Brette als das zweitälteste Gildenmitglied die Wahl leiten solle. Der Ministeriale bat Géroux, Caron und Melville nach vorne.
    »Ich erinnere daran, dass dies keine Kampfabstimmung ist«, sagte Duval. »Für die Wahl eines gänzlich neuen Gildemeisters gelten andere Regeln. Für den Sieg braucht ein Kandidat die einfache Mehrheit. Mehr Stimmen als die anderen zu bekommen, genügt nicht.«
    »Wer stimmt für Gaspard Caron?«, rief de Brette in den Saal.
    Es erhoben sich Pérouse, Vanchelle, Baudouin und Chastain.
    »Wer für Pierre Melville?«
    Partenay, Duval und Le Roux traten nach vorne. Poupart zögerte, dann schloss er sich ihnen an.
    »Wer für Jaufré Géroux?«
    Er bekam die Stimmen von Jacques und Aimery Nemours, Baffour, d’Alsace und de Brette.
    »Das macht fünf Stimmen für Caron, fünf für Melville und sechs für Géroux. Kein Kandidat erreicht die erforderliche Zahl von neun Stimmen.«
    »Ich habe es euch gesagt«, knurrte Géroux. »Niemand bekommt eine Mehrheit. Mit dieser törichten Wahl riskieren wir, die Gilde zu spalten.«
    »Trotzdem wählen wir weiter, bis ein neuer Meister gefunden ist«, hielt Duval dagegen. »Morgen Abend versammeln wir uns wieder. Derweil gehen wir alle nach Hause, besinnen uns und denken darüber nach, welcher Kandidat für das Wohl der Gilde am besten ist.«

Oktober 1189

    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    D ie Tage vergingen, doch der Schmerz ließ nicht nach.
    Wie betäubt verrichtete Hernance Chastain seine Arbeit. Wenn er Tuche verkaufte, konnte er später oftmals nicht sagen, ob er ein gutes Geschäft gemacht oder Geld verloren hatte – es kümmerte ihn einfach nicht mehr. Er aß kaum noch etwas, denn selbst die köstlichsten Speisen mit den erlesensten Gewürzen schienen sich in seinem Mund in Asche zu verwandeln. Nachts schlief er höchstens zwei, drei Stunden; die restliche Zeit wälzte er sich umher und rang schweißgebadet mit den immer gleichen Fragen.
    Wieso hat sie mir das angetan?
    Was habe ich falsch gemacht?
    O Herr, warum?
    Und dann die Blicke. Wo er auch war, in der Werkstatt, auf der Straße, in der Kirche, glotzten ihn die Leute an, und er hörte sie tuscheln. Schaut ihn euch an, den armen Tropf. Betrogen hat man ihn, gehörnt, dem Gespött preisgegeben. Was nutzt ihm jetzt sein ganzes Geld?
    Unablässig nagte die Schande an ihm, vergiftete die Demütigung seine Seele. War er anfangs noch so töricht gewesen, Isabelle zu vermissen, sich trotz ihres Betruges weiterhin nach ihr zu verzehren, begann er bald, sie zu hassen. Das Weib war ein Succubus, ein wollüstiger Dämon, sie hatte ihm die Manneskraft geraubt und die Selbstachtung dazu. Es hatte ihr nicht genügt, ihn zum Hanswurst zu machen, nein, vernichten wollte sie ihn. Und was hatte er getan? Ihr jeden Wunsch von den Lippen abgelesen, sie geradezu vergöttert!
    Wieso habe ich sie nicht getötet, als ich die Gelegenheit dazu hatte? Niemand hätte ihn für diesen allzu verständlichen Akt der Vergeltung zur Rechenschaft gezogen, und es hätte seine Pein gewiss gelindert.
    Dafür war es jetzt zu spät – und doch war dieser Gedanke wie eine Befreiung. Er würde Isabelle aus seinem Leben verbannen, jede Erinnerung an ihre Ehe tilgen. Eines Morgens raffte er all ihre Habe zusammen. Ihren Schmuck verkaufte er, ihre Kleider und Bücher warf er im Hof auf einen Haufen und verbrannte alles. Wie gut das tat! Als die Flammen den

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