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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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Plunder verschlangen, fühlte er sich zum ersten Mal seit Tagen nicht klein, schwach und hilflos.
    Durch den Rauch betrachtete er den Kaninchenverschlag und das Gehege mit dem altersschwachen Esel und dem Grauschimmel. Obwohl er Haustieren nichts abgewinnen konnte, hatte er Isabelle in seiner grenzenlosen Freundlichkeit erlaubt, sie herzubringen, damit sie sich in ihrem neuen Heim nicht so einsam fühlte. Und jetzt? Hatte er die Viecher am Hals, und sie fraßen ihm schier die Haare vom Kopf.
    Mit zusammengebissenen Zähnen griff er nach einem Knüppel und öffnete den Kaninchenverschlag.
    Langsam schlichen die Stunden dahin. Irgendwann wich der Abend der Nacht, und der Lärm der Gassen verstummte, als die Stadt zur Ruhe kam.
    In der kleinen Stube war es dunkel und still. Isabelle saß auf dem Bett, hatte die Hände auf die Oberschenkel gelegt und betrachtete durch den winzigen Fensterschlitz den Nachthimmel. Die dichten Wolken verdeckten die Sterne; nur gelegentlich zeigte sich die blasse Mondsichel. Auf dem kleinen Tischchen neben der Schlafstatt stand eine Platte mit etwas Brot, Käse und Gemüse. Sie hatte nichts davon angerührt.
    Leise Stimmen draußen auf dem Flur. Michel, der sie holen kam? Nein. Nur zwei Bedienstete.
    Sie legte sich aufs Bett und starrte in die Dunkelheit. Ihr kahlgeschorener Schädel juckte, und sie unterdrückte das Verlangen, den Schorf von den Schrammen zu kratzen. Dies war nicht ihre Stube. Aus Angst, sie könnte sich mit Michel von ihrem Fenster aus mit Zeichen verständigen, hatte Gaspard sie in einen kleinen Raum im rückwärtigen Teil des Hauses gesperrt. Wie lange sie schon hier war, wusste sie nicht genau. Vielleicht eine Woche, vielleicht länger. Hier, in dieser winzigen Kammer, abgeschottet von allem Leben, verlor die Zeit irgendwann an Bedeutung.
    Sie war jetzt ehrlos, eine Schande für die Familie – Gaspard hatte jedes Recht, sie wie eine Gefangene zu behandeln. Sie durfte die Stube nicht verlassen, nicht einmal unter Aufsicht. Mehrmals am Tag kamen ihre Mutter oder Lutisse herein und brachten ihr Essen, frische Kleider und Wasser zum Waschen. Ihre Mutter bemühte sich redlich, mit ihr zu reden, doch meist brach sie schon nach wenigen Worten in Tränen aus, saß weinend auf der Bettkante und schluchzte Dinge wie: »Was hast du dir nur dabei gedacht?«
    Am Sonntag war Pater Jodocus dagewesen und hatte ihr die heilige Kommunion gespendet. Anschließend hatte er sanft, aber nachdrücklich darauf gedrängt, sie solle ihre Sünden beichten. Isabelle hatte geschwiegen, bis er schließlich verärgert gegangen war.
    Gaspard hatte noch nicht entschieden, was mit ihr geschehen würde. Wegen der fortwährenden Auseinandersetzungen in der Gilde hatte er gerade andere Sorgen. Vermutlich würde er sie zwingen, in ein Kloster einzutreten. Das war der einzige Weg, die Familie von der Schande reinzuwaschen.
    Sie griff in die Spalte zwischen Bett und Wand und holte das kleine Silberkreuz hervor, das Michel ihr in glücklicheren Tagen geschenkt hatte. Irgendwie war es ihr gelungen, es an sich zu bringen und unter ihren Gewändern zu verstecken, bevor Chastain sie verstoßen und seines Hauses verwiesen hatte.
    Sie betrachtete es im Mondlicht. Würde sie ihn jemals wiedersehen?
    Wenn sie nur mit ihm sprechen könnte … Es gab etwas, das er dringend erfahren musste. All die Wochen war sie sich nicht sicher gewesen, doch nun gab es keinen Zweifel mehr.
    Sie barg das Kruzifix in der Faust und legte die Linke auf ihren Bauch.
    Am nächsten Morgen brachte ihr Lutisse das Essen.
    »Hast du etwas geschlafen, mein Schatz?«, fragte ihre Schwägerin sanft, während sie die Speisen auf das Tischchen stellte.
    Isabelle saß am Fenster und schaute sie nicht an. »Hast du mit Gaspard geredet?«
    »Worüber?«
    »Meine Tiere. Du wolltest ihn bitten, sie zu holen.«
    Lutisse zögerte lange, bevor sie antwortete. »Ich habe es versucht, aber er weigert sich.«
    »Bist du stattdessen zu Chastain gegangen?«
    »Ich bin leider noch nicht dazu gekommen.«
    »Du hast es versprochen.«
    »Ich kümmere mich gleich morgen darum.«
    Isabelle wandte sich zu ihr um. »Wieso lügst du mich an?«
    »Ich lüge nicht, wie kommst du darauf?« Lutisse hielt ihrem Blick nicht stand und kniff die Lippen zusammen. »Sie sind … nicht mehr da«, murmelte sie schließlich.
    »Chastain hat sie getötet«, sprach Isabelle ihre Ahnung aus.
    Ihre Schwägerin nickte. »Es tut mir leid. Bitte iss etwas, du bist schon ganz mager.« Mit

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