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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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gesenktem Haupt eilte sie aus der Kammer, und Ayol schloss hinter ihr ab.
    Isabelle saß reglos auf dem Schemel und starrte die Tür an. Plötzlich stieg würgende Übelkeit in ihr auf. Sie rannte zum Waschzuber und übergab sich.
    Es war ein langer Tag gewesen, und die hitzige Gildeversammlung hatte Stephan Pérouse erschöpft. Er war zu müde, um mit seinen Freunden die heutige Abstimmung zu diskutieren. Was gab es da auch zu bereden? Sie hatten wieder keinen neuen Meister gefunden und würden die Wahl folglich wiederholen müssen – mehr gab es dazu nicht zu sagen. Rasch verabschiedete er sich von Gaspard, Ernaut und Raoul, warf den Bettlern unter den Arkaden eine Handvoll Deniers zu und machte sich auf den Heimweg durch die nächtliche Stadt.
    Er wohnte schon lange nicht mehr am Domplatz. Im vergangenen Jahr hatten sich seine Geschäfte so günstig entwickelt, dass er sich endlich ein größeres Haus hatte bauen können. Im letzten Herbst hatte er schließlich sein Elternhaus verkauft und ein geräumigeres und schöneres Anwesen am Salztor bezogen.
    Pérouse nickte dem Nachtwächter zu, als er schlurfend in die Grande Rue einbog und der breiten Straße südwärts folgte. Ihm erging es wie den meisten Schwurbrüdern – die verfahrene Lage in der Gilde zermürbte ihn allmählich. Seit zehn Tagen versammelten sie sich nun Abend für Abend, um einen neuen Vorsteher zu wählen, bislang ohne nennenswerten Erfolg. Obwohl hart verhandelt und um jede Stimme geschachert wurde, obwohl enorme Bestechungsgelder flossen und so manche Drohung angedeutet wurde, kam keiner der drei Bewerber auch nur in die Nähe der erforderlichen Mehrheit. Die Fronten waren völlig verhärtet.
    Darunter litten die Geschäfte. Solange die Wahl andauerte, konnte kein Schwurbruder die Stadt verlassen und auf Reisen gehen, denn damit hätte er seinen Kandidaten geschwächt und die Lager seiner Feinde gestärkt. Pérouse hatte es allmählich satt. Er sehnte sich nach Normalität und wollte endlich wieder Handel treiben, wollte mit Raoul zur Sankt-Aigulf-Messe in Provins reisen, um englische Wolle einzukaufen. Doch sie konnten Gaspard nicht im Stich lassen. Ohne ihre Unterstützung würde er aufgeben müssen. Nicht auszudenken, wenn ihretwegen Géroux oder dieser geleckte Schönling Melville die Wahl gewinnen würde. Einer war so schlimm wie der andere.
    Nein, Gaspard musste unter allen Umständen Gildemeister werden. Darauf hatten sie so lange hingearbeitet – sie durften jetzt nicht klein beigeben, und wenn es bedeutete, auf das eine oder andere gute Geschäft zu verzichten. Nur Gaspard besaß genügend Härte, Klugheit und Entschlossenheit, der städtischen Obrigkeit die Stirn zu bieten und endlich jene Privilegien zu erringen, die den Kaufleuten zustanden.
    Als Pérouse noch einen halben Steinwurf vom Salztor entfernt war, sah er, dass im Obergeschoss seines Hauses Licht brannte. Sein Weib Agnes war also trotz der späten Stunde noch wach. Er freute sich darauf, sie in die Arme zu schließen, und ging unwillkürlich schneller …
    Zwei dunkle Gestalten tauchten aus dem Nichts auf, packten ihn und zogen ihn in eine dunkle Gasse. Eine schwielige, nach Zwiebeln stinkende Hand hielt ihm den Mund zu und erstickte seinen erschreckten Schrei. Alles ging so schnell, dass Pérouse nicht imstande war, sich gegen den Überfall zu wehren.
    In der Gasse warteten weitere Gestalten. Die größte, ein wahrer Hüne, trat vor ihn. »Wenn du schreist, stechen wir dich ab.«
    »Was wollt ihr?«, krächzte Pérouse, als einer der beiden Männer, die ihn festhielten, die Hand von seinem Mund nahm.
    »Ich möchte mit dir über die Wahl plaudern. Bedauerlicherweise hast du bisher für Caron gestimmt. Das solltest du überdenken.«
    Pérouse war sicher, diese Stimme schon einmal gehört zu haben. War der Kerl ein Söldner, der gelegentlich der Gilde diente? Leider war es in der Gasse viel zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, zumal die Männer ihre Gesichter in weiten Kapuzen verbargen.
    »Du wirst dich von Caron abwenden. Hast du verstanden?«
    »Niemals«, ächzte Pérouse.
    Der Hüne antwortete mit einem Faustschlag in seine Magengrube. »Ob du verstanden hast?«
    Wegen der Schmerzen konnte Pérouse nur noch flüstern. »Meine Treue gehört Gaspard Caron. Ein Haufen tumber Schläger bringt mich nicht dazu, ihn zu verraten.«
    »Wie du willst.«
    Die Männer pressten seine Rechte gegen die Hauswand. Der Hüne schwang einen Knüppel, und die schwere Keule

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