Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
zerschmetterte Knochen und Fingergelenke.
Pérouses Schrei gellte durch die Nacht.
»Wir gehen davon aus, dass die Ministerialen dahinterstecken«, sagte Charles Duval, nachdem er einen weiteren Schluck Wein genommen hatte. »Géroux ist wohl klar geworden, dass er mit Bestechung allein nicht weiterkommt. Also versucht er jetzt, uns einzuschüchtern. Es wundert mich nur, dass seine Leute Pérouse angegriffen haben. Bei Poupart oder Le Roux hätten sie damit gewiss mehr erreicht.«
»Pérouse wohnt nicht am Domplatz«, wandte Catherine ein. »Das macht ihn zu einem leichten Ziel für einen nächtlichen Überfall.«
»Le Roux auch nicht. Ihm hätten sie genauso gut auflauern können.«
»Vielleicht hatte Géroux mit Pérouse noch eine Rechnung offen, und er wollte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«
Michel hatte dem Bericht seiner Freunde schweigend zugehört. »Wie geht es Pérouse?«, fragte er jetzt.
»Gut – den Umständen entsprechend«, antwortete Duval. »Ein Medicus hat seine Hand noch gestern Nacht versorgt.«
»Gaspard wird sich das nicht bieten lassen«, sagte Michel. »Wie ich ihn kenne, wird er sich an den Ministerialen rächen.«
»Das hat er schon. Irgendwie muss Caron erfahren haben, dass Guibert de Brette heute Morgen zur Wechselstube am Nordtor wollte. Baudouin, Vanchelle und er haben ihre Knechte zusammengetrommelt und de Brette beim Armenhospital abgepasst. Sie sollen ihn geprügelt und ihm die Kleider zerrissen haben.«
»Hernance Chastain war auch dabei«, sagte Catherine.
»Chastain?«, fragte Michel überrascht. Es war seltsam genug, dass der Tuchfärber nach wie vor auf Gaspards Seite stand. Jeder andere Mann hätte mit der Familie seiner betrügerischen Frau gebrochen. Chastain jedoch hielt ihm die Treue, vielleicht, weil er sich Gaspard in seinem Hass auf Michel verbunden fühlte. So weit, so gut. Aber dass er Gaspard helfen würde, einen Feind zusammenzuschlagen, hätte Michel ihm nicht zugetraut.
»Der Mann hat sich verändert«, erklärte Duval. »Er ist voller Verbitterung und Zorn seit … jenem Vorfall.«
Zwischen Michel und seinen wenigen verbliebenen Freunden herrschte die unausgesprochene Übereinkunft, nicht über sein Verhältnis mit Isabelle zu sprechen. Für einen quälend langen Augenblick herrschte peinliches Schweigen.
»Jedenfalls haben viele Schwurbrüder Angst, der Konflikt zwischen Caron und den Ministerialen könnte sich ausweiten«, fuhr Duval fort. »Zu Recht, fürchte ich. Géroux hat bereits angekündigt, Caron für den Angriff auf de Brette zur Rechenschaft zu ziehen, und Caron und seine Busenfreunde haben ihren Knechten befohlen, nur noch bewaffnet aus dem Haus zu gehen.«
»Was sagt Martel dazu?«, fragte Michel. Eigentlich war es die Aufgabe des Schultheißen, in Varennes für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
»Bis jetzt gar nichts. Seine Büttel halten sich aus allem heraus. Es ist merkwürdig. Auch von Bischof Ulman hört man nichts.«
Michel nickte. Etwas in der Art hatte er erwartet.
»Ich habe heute Morgen mit Le Roux und einigen anderen gesprochen«, berichtete Duval weiter. »Sie fragen sich, ob sie die Nächsten sind, die auf offener Straße zusammengeschlagen werden. Sie trauen sich nicht mehr, zu den Gildeversammlungen zu gehen. Wir denken, dass es unter diesen Umständen besser ist, die Wahl zu unterbrechen, bis wieder Frieden herrscht.«
»Ich fürchte, darauf könnt ihr lange warten«, sagte Michel. »Wenn ich Géroux richtig einschätze, wird er alles dafür tun, den Konflikt anzuheizen. Er will, dass es zwischen den Ministerialen und Gaspards Lager zum Krieg kommt. Und Gaspard, dieser Hitzkopf, fällt darauf herein.«
»Wieso?«, fragte Catherine. »Was hätte Géroux davon?«
»Es geht ihm nicht um Stimmen. Vermutlich hat er den Auftrag bekommen, in der Stadt für Chaos zu sorgen, damit Bischof Ulman endlich einen handfesten Vorwand hat, gegen die Gilde vorzugehen. Vielleicht nimmt Ulman das sogar zum Anlass, die Gilde zu verbieten.«
»Würde er das wagen? Damit ist er schon einmal nicht durchgekommen.«
»Diesmal ist die Lage ernster als vor zwei Jahren. Wenn die Gilde als Bedrohung für den Frieden gilt, hat er jedes Recht, sie aufzulösen. Niemand könnte ihn daran hindern, nicht einmal der Kaiser.«
Duval stellte geräuschvoll den leeren Kelch auf den Tisch. »Und alles nur, weil gewisse Leute ihre Lust nicht zügeln können. Wir hatten so viel erreicht, und jetzt zerrinnt uns alles zwischen den Fingern – wegen
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