Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
einer Frau.«
»Charles«, begann Catherine, doch Michel legte ihr die Hand auf den Arm. Er konnte Duval seinen Ärger nicht verdenken.
»Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass es mir leidtut, Charles. Ich wollte nicht, dass es so kommt.«
»Schon gut. Schon gut. Ich habe im Zorn gesprochen. Verzeiht mir. Wir alle machen Fehler, und wir alle haben unsere Laster. Es steht mir nicht zu, Euch zu verurteilen. Überlegen wir lieber, was wir jetzt tun.«
»Wir müssen sofort mit den Schwurbrüdern reden«, sagte Catherine. »Sie dürfen sich unter keinen Umständen in Carons und Géroux’ Streitigkeiten hineinziehen lassen.«
»Sprecht außerdem mit Gaspard«, ergänzte Michel. »Macht ihm klar, dass er sich von Bischof Ulman vor den Karren spannen lässt, wenn er nicht aufhört, Géroux zu bekämpfen.«
»Er wird uns nicht zuhören«, meinte Duval.
»Trotzdem. Ihr müsst es versuchen.«
Seine Freunde standen auf und griffen nach ihren Umhängen. Bevor sie gingen, fragte die Kauffrau: »Ihr lasst es uns wissen, wenn Ihr Hilfe braucht, ja?«
Dies war ein Ritual, das sich immer abspielte, wenn Catherine und Duval ihn besuchten. Michel lächelte und gab seine übliche Antwort: »Ich komme schon zurecht. Kümmert euch lieber um die Gilde, das ist wichtiger.«
Tatsächlich war seine Lage äußerst angespannt. Ihm drohte bald der Ruin, denn die hohe Strafe, die er dem Gericht hatte zahlen müssen, hatte einen beträchtlichen Teil seiner Rücklagen aufgezehrt. Und neues Geld konnte er keines verdienen, denn wegen des Ausschlusses aus der Gilde durfte er keinen Handel mehr treiben. Doch er würde den Teufel tun und seinen Freunden sagen, wie schlecht es um ihn stand. Sie hatten wahrlich genug eigene Sorgen. Außerdem war es seine eigene Schuld, dass er in diese Lage geraten war. Er hätte ihre Hilfe nicht verdient.
»Ich kann Euch Geld leihen, damit Ihr fürs Erste über die Runden kommt«, schlug Duval vor.
»Danke, aber mein Geld reicht noch für einige Monate«, erwiderte Michel, obwohl »drei bis vier Wochen« der Wahrheit eher entsprochen hätte.
»Pierre will sich dafür einsetzen, dass Ihr wieder in die Gilde aufgenommen werdet, wenn er erst Gildemeister ist«, sagte Catherine. »Gewiss kann er eine Mehrheit der Schwurbrüder davon überzeugen, Euch zu vergeben, wenn Ihr Buße leistet.«
»Richtet ihm meinen Dank aus. Ich bin sicher, er wird die Wahl letztlich gewinnen.«
Nachdem Catherine und Duval gegangen waren, setzte sich Michel mit seinem Weinkelch ans Fenster. Tatsächlich war er ganz und gar nicht davon überzeugt, dass Melville Gildemeister werden würde. Wenn es Géroux nicht gelang, das Amt mit Furcht, Gewalt und Bestechung zurückzuerobern, würde höchstwahrscheinlich niemand Gildemeister werden. Vielleicht war diese Einschätzung zu schwarzseherisch, doch Michel glaubte einfach nicht, dass es Duval und den anderen gelingen würde, das drohende Chaos in Varennes aufzuhalten. Die Gräben innerhalb der Gilde waren zu tief, die Ministerialen und ihr Herr zu stark.
Seit Tagen schon zermarterte sich Michel den Verstand, was er dagegen tun konnte. Die Antwort war ebenso schlicht wie ernüchternd: nichts. Er war nicht bloß besiegt – er war vernichtet. Ohne die Mitgliedschaft in der Gilde konnte er seinen Freunden nicht beistehen. Alles, was jetzt in Varennes geschah, entzog sich seinem Einfluss.
Sein Blick ruhte auf Gaspards Haus. Wenn ich wenigstens wüsste, wie es Isabelle geht. Seit ihrer Verurteilung hatte er sie weder gesehen noch mit ihr gesprochen, denn Gaspard hielt sie in seinem Haus gefangen, um weiß Gott was mit ihr zu tun. Michel hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er an sie herankommen oder ihr wenigstens eine Nachricht schicken sollte.
Er beschloss, einen Spaziergang zu machen – das half ihm stets beim Nachdenken. Rasch warf er seinen Mantel über und schlenderte kurz darauf die Grande Rue hinauf. In der Stadt herrschte eine eigenartige Stimmung. Etwas lag in der Luft. Angst wäre zu viel gesagt, wohl aber Anspannung. Die einfachen Leute und Handwerker spürten, dass sich in der Gilde etwas zusammenbraute, dass es nicht bei den Überfällen auf Stephan Pérouse und Guibert de Brette bleiben würde. Misstrauisch beobachteten sie die Umgebung und senkten die Stimmen, um ja keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Nahe der Abtei Longchamp jedoch sah er etwas, das so gar nicht ins Bild passte: In einer Schenke herrschte ausgelassene Stimmung, und das kleine
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