Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
er wieder brüllte.
Es war noch nicht Mittag, doch sie war bereits erschöpft wie nach einem langen Tag voller Plackerei. Gewiss, Rémy war ihr Augenstern, das Licht ihres Lebens – aber manchmal hatte sie nicht übel Lust, ihn für eine Handvoll Pfennige an fahrende Gaukler zu verkaufen.
Das Dorf hieß Alta Ripa, nach einem römischen Kastell, das in der alten Zeit am Rheinufer gestanden hatte. Die Bewohner, des Lateinischen allesamt unkundig, nannten es meist verkürzt Altrip. Als die ersten Hütten in Sicht kamen, beschlich Isabelle ein ungutes Gefühl. Sie griff zu ihrem Gürtel, und natürlich: Wegen ihres morgendlichen Kampfes mit Rémy hatte sie ihr Geld vergessen. Müde machte sie kehrt und schlurfte zum Hof zurück.
Auf dem Platz vor den Gebäuden nahm sie Rémy aus dem Tragetuch und stellte ihn auf den Boden. »Spiel mit der Katze, während ich das Geld hole. Aber stell nichts an, ja?«
Sie betrat das Wohnhaus, das heute Morgen so gut wie verlassen war. Die Knechte und Mägde arbeiteten auf den Feldern, und Thomasîn trieb sich vermutlich in den Ställen herum. In der Küche fand sie ihre Geldbörse nicht – vermutlich hatte sie sie verlegt. Als sie gerade in der Schlafkammer nachsehen wollte, hörte sie Geräusche. Die Tür stand einen Spalt offen. Wider besseres Wissen machte sie nicht auf dem Absatz kehrt, sondern spähte hinein.
Thomasîn kauerte auf der Bettkante, breitbeinig und splitterfasernackt, und atmete keuchend. Winand, der Stallknecht, kniete vor ihm, ebenfalls nackt, sein Kopf ruhte in Thomasîns Schoß und bewegte sich rhythmisch vor und zurück.
Bevor sich Isabelle leise davonstehlen konnte, öffnete ihr Gemahl die Augen, und ihre Blicke trafen sich.
Sie kannte Thomasîns Geheimnis bereits seit einigen Monaten. Sie war im Frühjahr dahintergekommen, durch eine Verkettung der Umstände, durch einen bloßen Zufall.
Im Mai war sie mit Rémy nach Speyer geritten, um ihre Familie zu besuchen. Ganze zwei Tage hatte sie es dort ausgehalten; dann hatte sie Onkel Eberold, seine herablassende Art, sein dröhnendes Gelächter und seinen plumpen Witz nicht mehr ertragen. Nach einem Nachmittag voller Streit hatte sie ihre Stute gesattelt und Rémy ins Tragetuch gesteckt und war, brodelnd vor Zorn, nach Hause geritten.
Thomasîn hatte sie frühestens in zwei Tagen zurückerwartet. Als sie am späten Abend den Hof erreichte, war er mit Winand im Lagerschuppen und vergnügte sich mit dem Stallknecht im Heu. Die anderen Dienstleute schliefen längst, weshalb sich die beiden Männer keine besondere Mühe gaben, die Geräusche ihrer Lust zu unterdrücken. Isabelle, die sich zunächst keinen Reim auf die keuchenden Laute machen konnte, schlich zum Schuppen und lugte hinein. Was sie sah, erschütterte sie bis ins Mark: Winand kauerte nackt auf allen vieren, das Gesicht eine Grimasse der Wollust, Thomasîn kniete hinter ihm und stieß hart in ihn hinein. Fassungslos und angewidert huschte sie davon und verbrachte die Nacht bei der Quelle am Waldrand.
Rémy lag im Gras und schlief friedlich – Isabelle dankte allen Heiligen, dass der Junge noch zu klein war, um zu verstehen, was er da im Schuppen gesehen hatte. Sie saß reglos neben ihm, starrte in die Dunkelheit und versuchte, des Aufruhrs in ihrem Inneren Herr zu werden.
Ihr Gemahl – ein Sodomit, ein Sünder wider das Gesetz Gottes. Ja, sie war schockiert. Ja, sie empfand Ekel. Zwar hatte sie gewusst, dass es Männer gab, deren körperliches Verlangen dem eigenen Geschlecht galt – aber es war etwas völlig anderes, dergleichen mit eigenen Augen zu sehen.
Doch irgendwann wich ihre Verwirrung kühler Ruhe. Endlich ergab alles einen Sinn: ihre trostlose Hochzeitsnacht. Winands Eifersucht in den ersten Wochen ihrer Ehe. Thomasîns Enthaltsamkeit. Sie hatte immer gedacht, er rühre sie wegen ihrer schimpflichen Vergangenheit nicht an. Nun kannte sie den wahren Grund. Er hatte für Frauen nichts übrig und liebte seinen Stallburschen. Um seine Neigungen zu verbergen und bei den Dörflern nicht ins Gerede zu geraten, hatte er sie geheiratet. Deshalb war er nicht wählerisch gewesen, was ihre Vergangenheit anging. Deshalb hatte er sogar das Kind eines anderen akzeptiert. Alles nur, um seinen Nachbarn ein normales, christliches Leben vorzugaukeln.
Je länger Isabelle darüber nachdachte, desto mehr schwand ihr Abscheu vor Thomasîn. Gewiss, seine Neigungen mochten wider die Natur sein – aber war er deswegen ein schlechter Mensch? Ganz und gar
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