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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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»Und das in seinem Alter. Ich fürchte, das überlebt er nicht.«
    Zwei Mägde bekreuzigten sich.
    Michel wollte die Tür öffnen, doch sie war verriegelt.
    »Er will niemanden sehen«, informierte ihn Fulvio. »Sein Schmerz ist zu groß.«
    »Messere Agosti, ich bin es«, rief Michel. »Lasst mich herein. Ich bitte Euch!«
    Schleppende Schritte erklangen, und der Riegel wurde zurückgeschoben. Michel wartete einen Moment, bevor er eintrat.
    Der Messere kniete unter dem silbernen Kruzifix an der Wand. Seine schmalen Schultern bebten.
    »An diesen schwarzen Tag werden wir uns noch lange erinnern, mein Junge«, murmelte er mit schwacher Stimme. »Heute hat mein Niedergang begonnen. Salvestro Agostis Stern ist nach fünfunddreißig Jahren erloschen. Einfach erloschen wie eine Kerze im Wind.«
    Michel war ernstlich besorgt. So hatte er den Messere noch nie reden hören. Was hatte ihm der Podestà nur angetan? Denkbar war vieles, denn mit derart mächtigen Männern Geschäfte zu machen bot mannigfaltige Risiken. Womöglich hatte er das panno pratese beschlagnahmt, um Agosti heimzuzahlen, dass dieser ihm einst bei seiner Wahl die Stimme verweigert hatte. Der finanzielle Verlust wäre beträchtlich. »Erzählt mir, was vorgefallen ist«, bat Michel behutsam.
    »Dieser Geizkragen will mich vernichten. Zerschmettern will er mich.«
    »Was hat er getan?«
    »Gerade einmal zehn lumpige Tuchballen hat er mir abgekauft«, jammerte der Messere. »Zehn! Kannst du dir das vorstellen? Was für eine Katastrophe!«
    »Er … hat Euch etwas abgekauft?«, wiederholte Michel verwirrt. »Ich fürchte, ich verstehe nicht … Fulvio hat von einem Rückschlag gesprochen.«
    »Aber das ist ein Rückschlag! Und was für einer! Früher hätte ich nur ein Wort sagen müssen, und er hätte ohne zu zögern alle dreißig gekauft. Ich habe mein Feuer verloren. Meine Überzeugungskraft. Ich werde alt, Michel. Alt und verbraucht. Ich sollte mich aus dem Geschäftsleben zurückziehen, damit niemand Zeuge meines Verfalls wird. Mailand soll mich in strahlender Erinnerung behalten.«
    Michel wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Mit dem Verkauf von zehn Ballen panno pratese hatte Agosti gewiss zwanzig, wenn nicht dreißig Lira verdient, und Michel war versucht, ihn darauf hinzuweisen, dass dies mehr war, als so mancher lothringische Kaufmann im Jahr einnahm. Aber irgendetwas sagte ihm, dass er damit alles nur noch schlimmer gemacht hätte. »Ihr habt Euer Feuer keineswegs eingebüßt, Messere«, versicherte er ihm. »Ihr seid immer noch genauso klug und überzeugend wie damals in Troyes, als ich Euch das erste Mal sah. Gewiss lag es daran, dass der Podestà keinen Sinn für Schönheit hat. Kein Wunder, immerhin ist er ein Politiker und Kriegsherr. Vermutlich könnte er panno pratese nicht einmal von einem schmutzigen Bettlaken unterscheiden. Ich bin sicher, Ihr findet schon morgen einen Käufer für das restliche Tuch, der die Qualität Eurer Ware zu würdigen weiß.«
    »Glaubst du wirklich?«, fragte Messere Agosti.
    »Natürlich. Nichts leichter als das für einen Kaufmann von Eurem Format, nicht wahr?«
    »Vielleicht hast du recht.« Agosti senkte wieder das Haupt. »Trotzdem schmerzt mich diese Niederlage. Dabei war ich mir so sicher, dass er mir alles abkaufen würde. Ich glaube, das Alter trübt meinen senno .«
    Damit der Messere nicht wieder damit anfing, über seinen drohenden Abstieg zu lamentieren, holte Michel den Vertrag hervor. »Ich habe etwas, das Eure Stimmung aufhellen wird. Seht.«
    Mit gerunzelter Stirn studierte Agosti die Zeilen. »Neunzig Lira! Du hast es geschafft. Der heilige Ambrosius segne dich, mein Junge. Er segne dich tausendfach! Komm her, komm an meine Brust.«
    Endlich stand er auf und umarmte Michel. Als der Kaufmann von ihm abließ, war die Verzweiflung restlos von ihm gewichen. Agosti strahlte über das ganze Gesicht und schien vergessen zu haben, dass er eben noch von Untergang und Ende gesprochen hatte.
    »Darauf trinken wir! Na los, erzähl mir, wie du Spini bezwungen hast. Dieses Scheusal hat es dir gewiss nicht leicht gemacht, was?«
    Er füllte zwei Kelche mit Wein vom Vorjahr, gewachsen und gekeltert im Süden Latiums, rot wie geschmolzener Rubin und gewürzt mit Honig und Kräutern. Süß und köstlich rann er Michels Kehle hinab, und er begann, von seinen Verhandlungen mit Spini zu berichten. Der Messere lauschte gespannt, lobte überschwänglich die Winkelzüge, die er für besonders gelungen hielt,

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