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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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und lachte herzlich über Spinis Zorn. Obwohl Michel froh war, dass der Messere seinen Trübsinn überwunden hatte, so betrachtete er doch den jähen Stimmungswechsel mit Sorge. Derart launenhaft war sein Lohnherr früher nicht gewesen. Zwar hatte Michel nicht gelogen, als er gesagt hatte, er halte ihn nach wie vor für einen hervorragenden Kaufmann – es war jedoch nicht zu übersehen, dass Agostis Nervenstärke nachließ. Es war wohl wirklich das Beste, er zog sich allmählich aus dem allzu aufregenden Fernhandel zurück und widmete sich ganz seinem Grundbesitz.
    »Großartig. Einfach großartig«, sagte der Messere, als Michel fertig war. »Aus dir wird einmal ein hervorragender Kaufmann werden, mein Junge, da bin ich ganz sicher. Die Welt wird noch Großes von dir hören. Ich kümmere mich gleich darum, dass Spini sein Geld bekommt, damit wir schon morgen mit dem Abriss anfangen können.«
    Er griff in den Kragen seines Gewandes, zog den Schlüssel hervor, der Tag und Nacht an einer Lederschnur an seinem Hals hing, und wollte in den Nebenraum gehen, wo zwei schwere Eichentruhen mit einem Teil seines Geldes standen. Als er an seinem Schreibtisch vorbeischlurfte, stutzte er und nahm ein gefaltetes Stück Pergament in die Hand.
    »Dieser Podestà! Verflucht sei er! Richtet nichts als Durcheinander an«, schimpfte er. »Seinetwegen hätte ich fast vergessen, dir deinen Brief zu geben.«
    Michel stand auf. »Ein Brief? Von wem?«
    »Von deinem Bruder Jean. Ein berittener Bote hat ihn gebracht, kurz bevor du zurückgekommen bist.«
    Stirnrunzelnd nahm Michel die versiegelte Botschaft entgegen. Erst heute Morgen hatte er beschlossen, wieder einmal seiner Familie zu schreiben, und schon wenige Stunden später bekam er eine Nachricht aus der Heimat. Was für eine seltsame Fügung. Er brach das Wachssiegel, faltete das Pergament auseinander und begann, Jeans ungelenke Handschrift zu entziffern.
    Worte und Sätze schienen zu verschwimmen, sich vor seinen Augen aufzulösen. Michel stockte der Atem. Er zwang sich, weiterzulesen, den Brief noch einmal von vorne zu lesen, obwohl ihm war, als legten sich Hände um seine Kehle und drückten zu.
    »Beim heiligen Ambrosius, Junge, du bist ja kreidebleich«, sagte Messere Agosti. »Was ist denn geschehen?«
    Michel hob den Kopf, blinzelte, und sein Herz pochte zehnmal, zwanzigmal, ehe er den Mann erkannte, der da neben ihm stand. Ohne ein Wort reichte er Agosti den Brief.
    Teurer Bruder, schrieb Jean, ich überbringe Dir traurige Nachrichten: Unser geliebter Vater ist tot. Am elften Tag des Monats April hat der Herr ihn zu sich geholt, nachdem er mit dem Salzschiff verunglückt ist. Bete für seine Seele, auf dass Gott ihn gnädig in seine Arme aufnehme.
    Bitte komm nach Hause – Dein Bruder Jean
    Dunkelheit erfüllte die Straßen, umhüllte Palazzi und Kirchen. Noch hatte sie Mailand fest in der Gewalt und verteidigte erbittert ihre Herrschaft, doch es war eine aussichtslose Schlacht, eine, die sie nicht gewinnen konnte. Bald schon würde sich die Morgendämmerung in die Stadt stehlen und auf ihrem lautlosen Vormarsch die Nacht in Keller und Brunnenschächte zurückdrängen.
    Stille lag über den Gassen wie ein schwerer Wollmantel.
    Michel führte Maronne auf die Straße und rieb der Stute geistesabwesend den Hals. Es musste geregnet haben, denn die Abflussrinne im Pflaster hatte sich in einen reißenden Bach verwandelt, der den Unrat des Viertels davonspülte. Michel erblickte einen faulen Apfel, der auf den winzigen Wellen tanzte wie ein Schiff in Seenot.
    »Hast du alles?«, fragte Messere Agosti, ein müdes, graues, faltiges Gesicht im Tor des Palazzos. »Dein Geld? Dein Schwert?«
    »Ja.«
    »Ich wünschte, ich hätte deinen Vater noch einmal gesehen. Er war mir ein guter Freund – und es geschieht nicht oft, dass zwei Kaufleute Freundschaft schließen.« Die letzten Worte wurden immer leiser, immer schwächer. Agosti senkte das Haupt, und seine Schultern begannen zu beben.
    Michel tat etwas, das er noch nie getan hatte: Er legte die Arme um den Messere, und in diesem Moment erschien ihm der Kaufmann so dürr und zerbrechlich wie ein steinalter Greis. Michel konnte nicht weinen, nicht mehr. Als der Schmerz zu stark geworden war, irgendwann in den dunkelsten Stunden der Nacht, hatte er ihn tief in sich eingeschlossen, und nun empfand er nichts als Taubheit.
    Agosti blickte ihn an, während die Tränen über seine Wangen rannen. »Dein Vater wäre stolz auf dich. Er hat einen

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