Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Bote von der Gilde gekommen, mit einer Nachricht für Euch.«
»Entschuldigt mich«, knurrte der Kaufmann, schritt dem Diener entgegen und riss ihm den Brief aus der Hand. Hastig brach er das Siegel und überflog die Zeilen. Michel sah, dass er immer wütender wurde, und hätte zu gerne gewusst, was in der Nachricht stand. Er spitzte die Ohren und hörte, dass Spini »Verflucht seien alle Venezianer!« hervorpresste, bevor er den Brief in seinen Ärmel schob.
Michel beobachtete ihn, während er sichtlich blass zur Terrasse zurückkehrte. Hatten ihm seine Rivalen aus der Lagunenstadt einen weiteren Schlag versetzt? Messere Agosti hatte erzählt, Spini wolle übermorgen nach Venedig reisen. Um mit seinen Konkurrenten zu verhandeln, vielleicht sogar Frieden zu schließen? Um seinen Ruin abzuwenden, indem er ihnen seine Zusammenarbeit anbot? Was auch immer der Grund für seine Reise gewesen war, seine erboste Reaktion auf den Brief deutete darauf hin, dass es erhebliche Schwierigkeiten gab.
Michel zweifelte nun nicht mehr daran, dass die Gerüchte von Spinis geschäftlichem Niedergang voll und ganz zutrafen. Verkaufte er deswegen das Grundstück? Weil er dringend frisches Silber brauchte? Wenn Michel mit seiner Einschätzung richtig lag, verschaffte ihm das einen entscheidenden Vorteil …
»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Spini zerstreut. »Richtig, mein letztes Angebot. Hundertfünf Lira. Nehmt Ihr an?«
»Ihr kennt meine Vorstellungen. Ich rücke nicht davon ab.«
»Eure Vorstellungen sind lächerlich und töricht. Zum letzten Mal: hundertfünf. Billiger werdet Ihr ein Grundstück dieser Größe nirgendwo bekommen.«
Michel beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Sein kaufmännisches Gespür hatte ihn noch nie im Stich gelassen. »Wenn dies Euer letztes Wort ist, so kommen wir nicht überein. Mein Herr wird sich anderswo nach einem geeigneten Grundstück umsehen. Ich wünsche Euch noch einen angenehmen Tag, Messere Spini.«
Er verneigte sich knapp und ging.
Was er da tat, war überaus riskant. Wenn er Spinis Lage falsch einschätzte, oder wenn der Kaufmann darauf vertraute, rasch einen anderen Käufer zu finden, ging er leer aus und musste Messere Agosti erklären, dass er versagt hatte. Mit angehaltenem Atem schritt er zur Terrassentreppe.
Kaum hatte er seinen Fuß auf die oberste Stufe gesetzt, stieß Spini hervor: »Herr im Himmel, also gut! Fünfundneunzig.«
Michel fuhr herum. »Neunzig!«
Spini biss die Zähne zusammen, und für einen Moment glaubte Michel, der Mann werde sich auf ihn stürzen und ihn würgen. »Ihr seid ein Halsabschneider und Aasgeier«, schnaubte er. »Und ein Erpresser dazu. Ich hoffe, Ihr schmort eines Tages in der Hölle.«
»Also seid Ihr einverstanden?«
»Ja, verdammt noch mal!«
Bevor Spini es sich anders überlegen konnte, hatte Michel einen Vertrag sowie Feder und Tinte hervorgeholt. Rasch tauchte er den Kiel in das Fläschchen, trug den Kaufpreis ein und reichte Spini das Pergament zur Unterschrift.
»Habt Dank«, sagte er, als ihm der Kaufmann den Vertrag zurückgab. »Es war mir ein Vergnügen, mit Euch Geschäfte zu machen, Messere.«
»Schert Euch zum Teufel«, schnarrte Spini.
Kurz darauf ritt Michel durch die Gassen, den Vertrag sorgfältig in seiner Tasche verstaut, auf den Lippen ein dünnes Lächeln. Er konnte nicht gerade behaupten, dass er vor Mitleid mit Spini verging. Gewiss, er hatte den Kaufmann hart angefasst. Aber erstens hatte Spini damit angefangen und ihn wie einen dummen Jungen behandelt; und zweitens waren neunzig Lira immer noch ein stolzer Preis für ein heruntergekommenes Grundstück. Spini konnte ihn verlangen, weil Wohnraum in Mailand stetig knapper wurde. Vermutlich hatte er vor dreißig Jahren nicht einmal die Hälfte dafür bezahlt. Er hatte ein gutes Geschäft gemacht, auch wenn es ihm nicht so vorkam. Alles in allem war Michel sehr zufrieden mit sich.
Sein Lohnherr hingegen schien an diesem Morgen nicht so viel Glück gehabt zu haben. Als Michel zum Palazzo Agosti kam, hörte er den Messere schon von draußen jammern.
»Ich bin ruiniert! Das ist mein Ende! Mein Ende !«
Michel überließ Maronne einem Stallknecht und eilte die Treppen hinauf. Vor Messere Agostis Gemächern hatten sich sämtliche Diener versammelt und machten betretene Gesichter.
»Was ist denn geschehen?«, wandte er sich an Fulvio, Agostis Handelsgehilfen.
»Ein schwerer geschäftlicher Rückschlag«, raunte der gedrungene Lombarde mit Grabesstimme.
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