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Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Wolf
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vernünftige Erklärung – Jean jedoch wusste es besser. Es war ein böses Omen. Varennes standen schlimme Zeiten bevor.
    Bei Einbruch der Dunkelheit begann es zu schneien. Der Schnee war rot wie geronnenes Blut.
    »Ich finde, du übertreibst«, sagte Michel am nächsten Morgen, als Jean Louis dabei half, die Truhe mit Adèles Habseligkeiten auf den Ochsenwagen zu laden.
    »Ach ja?«, meinte Jean gereizt und hob einen Klumpen Blutschnee auf. »Und das? Ist das vielleicht nichts?«
    »Ich habe dir doch erklärt, dass es nur Wüstenstaub ist.«
    »Ich sehe das anders. Und ich werde verhindern, dass Adèle und meinem ungeborenen Kind etwas zustößt.«
    »Und du glaubst, bei ihrer Familie sind sie sicher?«
    »Wenn etwas Böses geschieht, wird es in Varennes geschehen.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es einfach.« Jean half Adèle auf den Wagenbock.
    Michel gab es auf. Mit Vernunft kam man gegen Jeans Aberglauben nicht an.
    Adèle verabschiedete sich tränenreich von ihrem Mann. Louis klatschte mit den Zügeln, und der Wagen setzte sich ruckelnd in Bewegung. Sie winkten, bis das Fuhrwerk hinter den Häusern verschwand.
    Unwillkürlich blickte Michel zum Himmel auf. Ein Schneekristall zerschmolz auf seiner Wange. Noch mehr rostrote Flocken rieselten herab.
    »Komm«, sagte er. »Gehen wir hinein.«

März 1193

    V ARENNES -S AINT -J ACQUES
    Z wei Tage später nahm der Himmel wieder seine gewohnte Farbe an und erstrahlte in winterlichem Blau. Die Erleichterung darüber währte jedoch nicht lange. Als der März kam, endete der Winter abrupt, und es wurde sehr schnell frühlingshaft warm. Binnen weniger Tage schmolz im gesamten Moseltal der Schnee; kupferfarbenes Wasser strömte in die Mosel und verwandelte sie in ein blutrotes Band, das sich wie eine gigantische Ader durch das Land schlängelte. Die Schmelzwassermassen ließen den Fluss immer weiter anschwellen, bis er schließlich über die Ufer trat.
    Das Hochwasser war weitaus schlimmer als das letzte, denn diesmal war ganz Varennes betroffen, nicht nur die Unterstadt. Während das schlammige Wasser Gasse um Gasse, Hof um Hof, Garten um Garten eroberte und in Brunnen, Keller und Sickergruben floss, brachten die Bewohner Varennes’ hastig ihre Habe in Sicherheit. Michel und Jean und alle anderen Bürger, die ein mehrstöckiges Haus besaßen, trugen ihre Besitztümer in die höheren Geschosse, wo sie vor den Fluten einigermaßen geschützt waren. Die meisten Tagelöhner, Arbeiter und Handwerker hatten diese Möglichkeit nicht – ihre zumeist einstöckigen Hütten wurden vollständig überflutet oder von den Wassermassen weggerissen, und sie verloren alles, was sie nicht am Leib trugen. Manch ein Bewohner der Unterstadt ertrank, weil er seine Kate nicht rechtzeitig verließ. Hunderte Menschen suchten in Kirchtürmen, auf den Wehrmauern oder außerhalb der Stadt Zuflucht, und die Pfarreien und Bruderschaften schufteten von früh bis spät, um sie mit Brot, sauberem Wasser und Decken zu versorgen.
    Michel und Jean packten überall mit an, wo Not am Mann war. In kluger Voraussicht hatten sie zu Beginn des Hochwassers ein kleines Boot aufgetrieben, mit dem sie durch die überschwemmten Gassen ruderten, um Bürger aus ihren Häusern zu retten, die Leichen Ertrunkener zu bergen und ärmeren Leuten Essen zu bringen. Es war eine elende Arbeit, die sie an die Grenzen ihrer Kräfte brachte, doch der Dank der Menschen war ihnen Lohn genug.
    Die Tage vergingen, ohne dass das Wasser zurückwich. Die Nahrung wurde knapp, und eine Hungersnot drohte. Manch ein gewissenloser Bauer aus der Umgebung Varennes’ versuchte, daraus Kapital zu schlagen, und verkaufte den Menschen überteuertes Fleisch und Gemüse. Als de Guillory davon erfuhr, handelte er zum ersten Mal zum Wohle des Stadtvolkes. Er schickte seine Büttel und Kriegsknechte aus, die jeden verjagten, der Nahrung zu höheren als den üblichen Marktpreisen feilbot. Die Waren beschlagnahmten sie und verteilten sie kostenlos an die hungernden Bürger.
    Dann, nach einer Woche, zog sich das Wasser endlich aus den Straßen zurück. Die Fluten hinterließen Schlamm, Unrat und zahllose Tierkadaver – in der ganzen Stadt stank es wie in einem Höllenloch, nach Fäulnis, Exkrementen und Verwesung. Jeder packte mit an, um den Schmutz zu entfernen und Straßen, Plätze und Häuser zu säubern. Tagelöhner und Stadtbüttel, Ministeriale und Unfreie, Kaufleute und Knechte beteiligten sich gleichermaßen an der widerwärtigen,

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